Archivgut Nachlass

Aloisia S. NL 44

Februar 1928 bis Juli 2007

Weitere Informationen

Einrichtung: Sammlung Frauennachlässe | Wien
Jahr: Februar 1928 bis Juli 2007
Sprache: Deutsch
Beschreibung:
<p><b>Orte: </b>Reyersdorf bei Straßhof in Niederösterreich; Wien; Osnabrück in Deutschland; Orte an der Front/Kriegsschauplätze im 2. Weltkrieg: Freistadt in Oberösterreich, Horn in Niederösterreich, Ypern (Ypres) in Belgien, Braunschweig und Rothenburg in Deutschland, Lagery in Frankreich, Bukarest (Bucure; şti) in Rum; änien u.a.; </p>
<p><b>Quellentypen: </b>Tagebuch (Frauentagebücher): 39 Bände; Aufzeichnungen in Buchform: 1 Einnahmenbuch/Ausgabenbuch der Fleischerei; Korrespondenz (Paarkorrespondenz/Feldpost und Kriegsgefangenenpost aus dem 2. Weltkrieg, Familienkorrespondenz, Freundinnenkorrespondenz): 277 Schreiben; Dokumente zur Berufslaufbahn: "Anerkennungsdiplom" der "Genossenschaft der Wäschewarenerzeuger und Sticker"; autobiografische Aufzeichnungen: Text (300 Seiten, in Abschrift); ca. 25 Fotografien; Weiteres: 2 Sparbücher</p>
<p><b>Zum Bestand: </b>Schreiberin/Adressatin:
Aloisia St
öckl (geb. Pecker, verwitwete K.); geb. 1915 in Reyersdorf in Niederösterreich, gest. 2001 in Wien

Schreiberin/Adressatin: Gertrude L. (geb. H.); Gertrude L. (geb. H.); 1923-2017, geb. und gest. (vermutlich) in Osnabrück in Deutschland

Übergeberin: Aloisia S. (Tochter von Aloisia S.), 2001-2022




Aloisia (Luise oder Loisi) St
öckl (geb. Pecker, verwitwete K.) ist gemeinsam mit zwei Schwestern und einem Bruder in Reyersdorf im Marchfeld in Niederösterreich aufgewachsen. Die Eltern Antonia und Josef Pecker waren "Häusler:innen", der Vater arbeitete auch als Briefträger und S.. Von ihnen sind zwei Sparbücher der "Ersten österreichischen Spar-Casse in Wien" überliefert, die Einträgen von Februar 1928 bis Juli 1933 erhalten sowie ein Brief, den die Mutter 1937 einem Paket beigelegt hat, in dem sich den Kindern in Wien Brot geschickt hat. In dem Schreiben berichtet sie u.a. von den Vorbereitungen für Ballveranstaltungen im Ort.

Aloisia S. war im letzten Schuljahr "Aushilfslehrerin" für die kleineren Kinder, nach Austritt lernte sie die Weißnäherei in Wien. Sie wohnte im Haushalt der Lehrherrin und betreute u.a. auch deren Kind. Als 16-Jährige (1931) erhielt sie ein "Anerkennungsdiplom" der "Fachlichen Fortbildungsschule" der "Genossenschaft der Wäschewarenerzeuger und Sticker". Mit 18 Jahren heiratete Aloisia S. Michael K., der eine Kohlehandlung im 6. Wiener Gemeindebezirk betrieb. Mit der Aussteuer kaufte sie sich gebrauchte Möbel und eine Nähmaschine. Nachdem Michael K. als Soldat im Zweiten Weltkrieg eingezogen wurde, führte Aloisia S. das Geschäft gemeinsam mit einem Arbeiter alleine.

Von ihrer Feldpostkorrespondenz sind 14 Schreiben erhalten: 12 davon hat Michael K. im Juli 1940 und zwischen Februar und Juli 1942 an seine Frau und die Familie gesendet. Das einzelne Schreiben aus 1940 wurde in Ypern (Ypres) in Belgien abgeschickt: "Muss Dir schnell mitteilen, dass ich am 27.6. den Führer sah, ist bei uns im Auto vorbeigefahren. Sonntag am 30.6. war Dr. Gölbels bei uns zu Besuch (…) was sagst Du jetzt, was ich alles zu sehen bekomme?". Die Schreiben aus 1942 wurden in Lagery in Frankreich und Bukarest (Bucure
şti) in Rum
änien nach Wien geschrieben. 2 von Aloisia K. aus Juni 1942 sind als "nicht zustellbar" an sie zurückgekommen. Michael K. starb im Oktober 1942 an den Folgen einer Kriegsverletzung in einem Wiener Lazarett. Dazu sind im Nachlass 5 amtliche Schreiben (u.a. die Rechnung für die Beisetzung) und 9 Beileidschreiben enthalten. Weiters wurde ein gerahmtes Portraitbild von Michael K. und eine Fotografie von dem Paar übergeben.

Ein drittes Portraitbild ist das von Franz Hofinger. Er war ein Jugendfreund von Aloisa S. aus dem Marchfeld, seine Familie betrieb hier (vermutlich) eine Landwirtschaft. Aus ihrer Feldpostkorrespondenz entwickelte sich eine Liebesbeziehung. Diese ist anhand von 31 Briefen dokumentiert, die Franz Hofinger zwischen Juli 1943 und November 1944 u.a. aus Braunschweig oder mit der unbestimmbaren Ortsangabe "Osten" an "Liebes Herzerl" (4. Februar 1944) adressiert hat. Eine mit September 1943 datierte handgeschriebene Gedichtsammlung trägt den Titel: "Zur Erinnerung an die schönen Sommertage im August-September 1943 von Ihrem 'Sonnenschein' Franz". Der Kontakt von Aloisia S. mit Franz Hofingers Familie ist durch 25 Schreiben belegt, die sie von März 1944 bis Juni 1946 von seinem ebenfalls eingerückten Bruder u.a. aus Freistadt in Oberösterreich sowie von seiner Mutter bekommen hat. Sie hat die Briefe mit "Deine zukünftige Schwiegermutter" unterschrieben und berichtete darin u.a. von der Lebensmittelknappheit nach Kriegsende und den Arbeiten im Bauernhof.

16 weitere Poststücke hat Aloisia S. zwischen 1938 und 1946 von verschiedenen Schreiber:innen gesammelt. In einem Brief von 1946 erkundigte sich ihre ehemalige Lehrherrin danach, ob Aloisia S.s Schwester Erdäpfel für sie hätte: "Ich drehe jeden Kartoffel 2 x um bevor ich ihn verbrauche. Aber bis zur nächsten Zuteilung wird es nicht langen."

Die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit ist auch Inhalt des in der Sammlung Frauennachlässe vorliegenden Auszuges der insgesamt 300 Seiten umfassenden autobiografischen Aufzeichnungen von Aloisia S.. Der vollständige Text, der unter dem Titel "Ein Lebensbilderbuch" den Zeitraum von 1874 bis 1993 abdeckt und auch Abschriften von Feldpostbriefen enthält, ist Teil des Bestandes der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen.

Die Todesumstände von Aloisia S.s Verlobten Franz Hofinger im Zweiten Weltkrieg sind ungeklärt. Er gilt als vermisst. Bei der Suche nach Informationen über seinen Verbleib lernte sie Franz S. (1907-1989) kennen. Er führte eine Fleischhauerei in der Florianigasse im 8. Wiener Gemeindebezirk, wo Rot-Kreuz-Listen ausgelegt wurden, die sie einsah.

Franz S. kam aus Eibesbrunn im Weinviertel, ebenfalls in Niederösterreich. Er hatte dort Fleischhauer gelernt, in den 1930er-Jahren übernahm er den Betrieb in der Florianigasse. Seine erste Ehefrau starb bei der Geburt ihrer Tochter 1935. Das Mädchen wurde von Franz S.s Schwiegermutter betreut, die während seiner siebenjährigen Abwesenheit als Soldat auch die Fleischerei führte. In einem Brief aus 1940 an "Lieber Herr Meister" ("Abholpost Lublin über Warschau 2") berichtete ihm sein vormaliger Mitarbeiter über die aktuelle Situation in Wien. Diesem Brief beigelegt sind die Negative von 13 Fotografien, deren Motive v.a. ein kleines Mädchen u.a. mit ihrer Puppenküche.

Aloisia und Franz S. heirateten im Oktober 1946, ihre Tochter Aloisia S. (geb. S.) wurde 1950 geboren. Die Familie lebte in einer Wohnung in dem Haus, wo sich auch ihr Geschäft befand. In den 1950er-Jahren haben sie zudem ein Weingartengrundstück in Perchtoldsdorf bei Wien erworben und darauf ein Sommerhaus aus Holz errichtet.

Das Geschäft wurde als Familienbetrieb geführt, mit dem Ehepaar S. hat auch die ältere Tochter hier gearbeitet. Die Schlachtungen führte Franz S. im Großschlachthof St. M. durch, die Verarbeitung und der Verkauf fanden in der Florianigasse statt. Für den Zeitraum von Jänner 1948 bis Dezember 1971 sind Geschäftsaufzeichnungen von der Fleischerei erhalten. Sie sind eingetragen in ein großformatiges Buch, in dem auf 235 Seiten über den Lauf der Jahrzehnte die Verbindlichkeiten gegenüber dem Großschlachthof, die Monatslosungen, der Eigenverbrauch sowie die Ausgaben des Betriebes dokumentiert sind. Vor der Einführung der Mehrwertsteuer 1973 wurde das Geschäft geschlossen. Das letzte Blatt schließt mit dem Kommentar „Dank sei Gott!“.

Der umfassendste Teil von Aloisia S.s schriftlichem Nachlass sind ihre Tagebücher. Diese sind im Umfang von 39 Bänden aus den Zeitraum von Oktober 1963 bis März 2001 erhalten. Der erste Band ist zuerst mit Bleistift, ab April 1964 dann mit Kugelschreiber in ein kariertes Schreibheft eingeschrieben. Ab dem zweiten Band verwendete Aloisia S. für ihre Aufzeichnungen jeweils Jahreskalender mit den Werbeaufdrucken verschiedener Firmen. Vereinzelt hat sie dazu abgelaufene Kalender aus Vorjahren genützt, der Großteil der Einträge ist in den jeweils aktuellen Jahreskalender in die vorgedruckten Tagesfelder eingetragen. Die seltenen Einlagen sind z.B. lose Blätter, auf denen sie während einem Kuraufenthalt in Baden 1993 ihre Notizen führte. In mehr als drei Jahrzehnten berichtete die Fleischerin in ihren Tagebüchern jedenfalls detailliert sowohl von der täglich verrichteten Arbeit und dem Gang der Geschäfte, als auch von Begebenheiten innerhalb der Familie, sie notiert Speisefolgen, die Wetterlage und Kirchenbesuche und thematisierte seelische und in späteren Jahren zudem körperlichen Befindlichkeiten.

Einen sehr langen Zeitraum deckt daneben auch die Korrespondenz ab, die Familie S. mit Gertrude L. (geb. H., 1923-2017) aus Osnabrück führte. Aloisia S. hatte Gertrude L. zufällig kennen gelernt, als diese sich während des Zweiten Weltkrieges als Angehörige des Bundes deutscher Mädel (BDM) in Wien aufhielt und dann vorübergehend bei ihr wohnte. Von Oktober 1942 bis April 2006 hat sie schließlich 157 Schreiben an "Meine Lieben in Wien" adressiert. Das früheste Schreiben verfasste sie während der Kriegsdienstverpflichtung in Rothenburg in der Lausitz: "Und dann war wieder jemand hier, die uns als Luftnachrichtenhelferin verpflichten wollte, aber darauf sind wir nicht eingegangen, denn immer kann man uns doch nicht verpflichten". Die meisten der Briefe wurden mit Maschine getippt, einzelne enthalten Beilagen wie z.B. Fotografien. Der größere Teil (133 Schreiben von August 1979 bis April 2006) ist dabei an Aloisia S. und ihre Tochter Aloisia S. gemeinsam adressiert. Von Aloisia S. an Gertrude L. sind 17 mit Computer geschriebene Briefe von Juli 1998 bis Juli 2007 übergeben worden. Sie hat die Briefpartnerin auch mehrfach in Osnabrück besucht, später wurde der Kontakt telefonisch gepflegt.



Die autobiografischen Aufzeichnungen von Aloisia S. sind auch Teil der Bestände der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen.</p>
Anmerkung:
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