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Fundis behindern Olympiade: Lauf, lauf, Hassiba!

Verfasst von: Bühler, Emily
in: EMMA
1995 , Heft: 6 , 30-31 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1995-6-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Bühler, Emily
In: EMMA
Jahr: 1995
Heft: 6
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Bei der letzten Olympiade traten 34 der 169 Nationen mit reinen Männermannschaften an, allen voran der Iran mit 40 Sportlern. Was nun geschieht bei den nächsten Olympischen Spielen 1996?

Die Welt sah zu. Hassiba Boul-merka, Mittelstreckenläuferin aus Algerien, gewann im August bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Göteborg den Titel über 1.500 Meter und freute sich überschwenglich. Jubelnd winkte sie in die Menge und schwenkte die Nationalfahne ihres Landes. Das dünne, ärmellose Sporttrikot Boulmerkas ließ eine Menge harte und herbe Muskeln frei, die Shorts waren so kurz, daß man deutlich den Ansatz ihrer tüchtig trainierten Hinterbacken sah. Nichts Besonderes bei einem Sportfest, wo man und frau Körpersprache spricht. Ein obszönes Bild aber für die Augen der religiösen Fanatiker in Hassiba Boulmerkas Heimat, die den Anblick von Frauenhaut als skandalös ansehen, ihr • Auftreten als schamlos.

Bereits 1990, als die Algerierin mit 21 Jahren in Tokio ihren ersten Weltmeistertitel gewann, hatte sie schmerzlich die Mißbilligung der Imame erleben müssen. Zunächst erhielt sie von der Regierung die "Medaille du Merite", die höchste vaterländische Auszeichnung Algeriens. Vier Wochen später, an einem Freitag, verkündeten die Fundamentalisten in einer Moschee die "Unreinheit" von Hassiba Boulmerka, weil sie sich "vor den Augen der Welt halbnackt dargeboten habe". Auf die Olympiade 1992 in Barcelona, wo Hassiba Boulmerka dann Gold erlief, bereitete sich die Muslimin hinter Stacheldraht vor - außerhalb des Stadions von Algier wagte sie nicht mehr zu trainieren, nachdem sie mit Steinen beworfen und auf der Straße beschimpft worden war. Das Leben einer Sportlerin in einem vom islamischen Fundamentalismus geprägten Staat wird zunehmend gefährlicher. Die Öffentlichkeit wollte die Läuferin auch nach ihrem Sieg in Göteborg nicht um Hilfe bitten. Die Nachricht, sie sei im schwedischen Athletendorf an Leib und Leben bedroht worden, dementierte die Algerierin diplomatisch auf der internationalen Pressekonferenz mit den Worten: "Das haben Journalisten erfunden." Daß Hassiba Boulmerka überhaupt noch Leistungssport betreibt, liegt wohl an ihrem überragenden Talent und ihren Er folgen, mit denen sie genug Geld verdienen kann, um auch außerhalb ihrer Heimat, zum Beispiel in Sienaj am Wohnort ihres italienischen Managers, Enrico Dio-nisi, zu trainieren. So manche Sportlerin hat nach telefonischen und schriftlichen Drohungen militanter Islamisten längst aufgegeben. Daran, daß der algerische Staat und dessen (noch nicht fundaman-talistisch überrannte) Militärregierung, die die Hälfte des Staatsbudgets für Waffen ausgibt, Frauensport finanziell fördern könnte, ist schon gar nicht zu denken. Stattdessen wird auf Druck der Fundamentalisten nun auch noch der Sportunterricht in den Schulen unterbunden. "Die Maske fällt bei den Olympischen Spielen", prophezeit die französische Anwältin Lina Weil-Curiel. Sie ist engagierte Kämpferin für die Rechte der Frauen in islamischen Ländern, zusammen mit den Organisationen "Solidarität Frauen des Maghreb und Europas" und den "Meres Algeriennes" (algerische Mütter). Gemeinsam mit der Physikerin Annie Sugier und der belgischen Parlamentsabgeordneten Anne-Marie Lizin hat sie die Aktion "Atlanta plus" ins Leben gerufen. Den Ausschlag gab die Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in Barcelona vor drei Jahren. Die drei Frauen sahen sich das Spektakel im Fernsehen an und stellten fest, daß jede fünfte, nämlich 34 der 169 teinehmenden Nationen, mit reinen Männermannschaften antrat. Allen voran Iran mit 40 männlichen Sportlern, gefolgt von Katar mit 31, Kuwait mit 36 und Pakistan mit 27. Die Delegation des Iran hatte sogar darauf bestanden, beim Einmarsch ins Olympiastadion nicht von einer Spanierin angeführt zu werden, die das Schild mit dem Namen des Landes ins Stadion hätte tragen sollen, sondern von einem Mann. Das spanische Organisationskomiteewar^ auf diese Forderungemgegangen^^^^^^ "Was in Barcelona geschah, ist ein klarer Fall von Frauen-Diskriminierung", wettert Linda Weil-Curiel. "Die ganze Welt hat es gesehen. Wer das akzeptiert, ist Komplize." In Barcelona war nach langem Sportboykott wieder eine südafrikanische Mannschaft dabei, weil dort die ^ADartheidsnolitik^aufeehoben worden ^war^WarunMragtensicn die Frauen, war das Internationale Olympische Komitee (IOC) seinerzeit bereit, ein Land auszuschließen, das Menschen wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert - und toleriert Nationen, die offen Frauen diskriminieren? Dem Komitee muß bekannt sein, daß in einigen Ländern Frauen das Sporttreiben ganz verboten, in anderen nur mit Schleier von Kopf bis Fuß erlaubt ist. "Jede Art von Diskriminierung im Hinblick auf ein Land oder eine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Politik, des Geschlechts oder anderen Gründen ist unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung." Dieser Grundsatz steht im ersten Kapitel der Olympischen Charta, auf deren Boden das IOC steht. Darauf pochen die Frauen von "At-lanta plus". An der Olympiade nächstes Jahr in Atlanta, folgert die Organisation, könnten Nationen, die Frauen diskriminieren, also nicht teilnehmen. Ihre Nationalen Olympischen Komitees (NOK) dürften, folgte man der Charta, nicht mehr vom IOC akzeptiert werden. Schon im September 1994, lange vor der offiziellen Gründung von "Atlanta plus", erhielt IOC-Präsident Jüan Antonio Samaranch einen ersten Brief der Initiatorinnen mit der Bitte um Stellungnahme. Keine Antwort. Erst der dritte Versuch im Januar dieses Jahres brachte eine Reaktion. Man werde, schrieb IOC-Generalsekretär Francois Carrard,"die Frage auf die Tagesordnung der nächsten Exekutivsitzung setzen". Die fand Ende Januar in Lausanne statt. Carrard berichtet: "Wir haben nur sehr kurz über das Thema gesprochen. Wir sind eine weltweite Organisation und geben globale Antworten auf globale Fragen. Wir betrachten den Brief als rein politischen Angriff auf eine Religion und halten ihn deshalb für erledigt." Im Klartext: Man empfände es als Diskriminierung, ein Land von auszuschließen, nur weil es Frauen diskriminiert. Das IOC samt der Vorsitzenden der Frauenkommission, der Amerikanerin Anita Defrantz, hat sich seither nicht mehr dazu geäußert. Doch "Atlanta plus" will nicht lockerlassen. "Leider sind wu^iocl^uwenige"^lag^Lind^Wei^ ^5!riei^Die/\riw£uTn^vertntiinrrani^^ reich Frauen, die gegen ihre religiös begründete sexuelle Verstümmelung und die ihrer Töchter vor Gericht ziehen. Seit seiner offiziellen Gründung in Paris hat "Atlanta plus" Hunderte von Briefen erhalten. Renommierte Sportler wie Carole Merle (Ski alpin), Eric Tabarly (Se geln), Richard Virenque (Radsport), Daniel Bravo und Louis Fernandez (Fußball) und der international tätige Fußballschiedsrichter Joel Quiniou bekundeten schon früh ihre Solidarität. Jetzt soll auch auf Sponsoren der Spiele eingewirkt werden. Der Bundesausschuß Frauen im Deutschen Sportbund hat sich bereits den Forderungen von "Atlanta plus" angeschlossen: "Wenn ein NOK eine bestimmte Gruppe - in dem Fall Frauen -bei der Nominierung ausschließt, verletzt es die Olympische Charta." ' Eine Abordnung von "Atlanta plus" ist im Februar vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Ayala Lasso, und dem für Menschenrechte zuständigen stellvertretenden Generalsekretär, Ibrahim Fall, empfangen worden. Die beiden UN-Repräsentanten hätten, so "Atlanta plus", ihre "Sympathie" für die Aktion des Komitees ausgesprochen und ihre "Absicht" erklärt zu prüfen, wie man sie wirksam unterstützen könne. Lasso habe betont, daß einer der überzeugenden Punkte der Aktion sei, daß sie sich auf die Olympische Charta beziehe. Es sei in dem Gespräch hervorgehoben worden, daß die Diskussion auf rechtlichem, nicht auf religiösem Terrain geführt werden müsse: "Damit sich islamische Länder, die es begrüßen, wenn Frauen an internationalen Sportwettkämpfen teilnehmen, nicht als Ziel unserer Attacken fühlen." Noch gibt es in Algerien Sportlerinnen, die versuchen, sich über das Diktat der Fundi-Führer hinwegzusetzen. Salima Souakri hat es geschafft, mit 20 Jahren einen dritten Platz bei den Judo-Weltmeisterschaften in Kairo zu belegen, und war zweimal Afrikameisterin in der in Algerien sehr populären Sportart. Die Sportstudentin trägt keinen Schleier. Sie hat immer noch die verzweifelte Hoffnung, daß sie eines Tages ohne Risiko trainieren oder, ohne sich zu verhüllen, in den Straßen von Algier Spazierengehen kann. Viele Frauen in Algerien hoffen mit ihr. Das Internationale Olympische Komitee aber will von der Not der Frauen nichts wissen. Die zuständige und einzige Frau in der Exekutive, der Regierung des IOC, wäre Anita Defrantz, die selbst ihre hohe ^^^Positioi^eir^Urnstandverdankt^aßsie^^^ ^^^em^Frauim^zuaeir^oi^unKler^aut^^^ färbe ist. Aus ihrer heutigen Warte sieht die Ex-Ruderin die Sache nicht so ernst. Von der Deutschen Presseagentur wird sie zum Problem so zitiert: "Wir sind noch nicht an dem Punkt, an dem die Welt perfekt ist. Aber wir arbeiten daran."
EMILY BÜHLER
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