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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:2001-2-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Schwarzer, Alice info
In: EMMA
Jahr: 2001
Heft: 2
Beschreibung: Ill.
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • "Harold und Maude" [Filmtitel]
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:
    Frauen sind im Alter potenter…

    Ich weiß es noch, als es sei es gestern gewesen. Ich kam mit einem Freund aus meinem kleinen Stammkino am Boulevard Raspail und hatte das Gefühl, die Welt aus den Angeln heben zu können. Alles schien möglich. Der Film, der dieses Hochgefühl bei mir ausgelöst hatte, hieß "Harold und Maude". Es ging darin um einen 20-Jährigen, der sich leidenschaftlich in eine 80-Jährige verliebt hat, und umgekehrt. In der Tat passt Maude mit ihrer ganzen Unangepasstheit und Leidenschaft viel besser zu dem widerspenstigen jungen Mann aus gutem Hause als die dekolletierten Debütantinnen, die ihm zugeführt worden waren.

    Wir schreiben das Jahr 1971, als Hai Ashbys Film mit Ruth Gordon und Bud Gort in die Kinos kam. Ich war damals 28. Und es war kein Zufall, dass zwei der größten Tabus, die erotische AItersgrenze für Frauen sowie die Liebe zwischen einer älteren Frau und einem jüngeren Mann, mit dem Aufbruch der neuen Feministinnen prompt ins Wanken gerieten. Auch innerhalb dieser Frauenbewegung waren die Altersgrenzen in Bewegung geraten. Treffe ich heute Frauen, die einst mit mir aktiv waren, bin ich immer wieder überrascht, wenn sie zehn Jahre jünger oder zehn, zwanzig Jahre älter sind als ich. Damals habe ich das nicht gemerkt.

    Seither ging es langsam, aber stetig voran mit der Enttabuisierung des Alters bei Frauen, gelebter Sexualität älterer Frauen und ihren Love-Affairs über die diktierten Altersgrenzen hinweg - denn das alles gehört zusammen. Als ich jung war, war das noch ganz anders. Da galt bereits eine Frau über 30 als "alt", als sexuell passe und nicht mehr begehrenswert. In den 80er Jahren dann wurden einzelne Frauen um die 40 in den Kreis der Diskutablen gelassen, in den 90ern gerieten gar einige Frauen um die 50 ins Sex-Visier (das "Denver-Biest" u.a.). Und neuerdings sind sogar Frauen um 60 als "scharf im Gespräch, wenn auch bis jetzt nur in Ausnahmefällen namens Tina Turner oder Hannelore Hoger und Hannelore Eisner. Und der Nachwuchs scharrt schon mit den Highheels. Madonna, noch 43, scheint zielbewusst auf den Club der Dauerbrennerinnen zuzusteuern. Sie alle haben 10 bis 25 Jahre jüngere "geliebte Jungs" (Der Spiegel).

    Die moderne Wissenschaft untermauert den Trend. Sie beweist: Nicht etwa die Männer sind im Alter die sexuell Potenteren, sondern die Frauen. "Bei Männern lässt im Alter das Erektionsvermögen nach, die Erektionen werden schwächer und sind leichter störbar", erklärt die Gießener Sexualwissenschaftlerin Kirsten von Sydow, die an der WHO-Studie "Human Sexuality and Aging" mitgearbeitet hat. "Bei Frauen aber wird zwar die Haut der Genitalien nach den Wechseljahren empfindlicher und dünner, aber die Erregbarkeit an sich nimmt nicht ab. Frauen sind auch viele Jahre nach den Wechseljahren unveränderlich erregbar - wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Sexualität zu leben."

    Und genau diese Wende scheint für die statistische Durchschnittsfrau zwar nicht länger unüberwindbar, aber noch immer eine große Hürde. So konstatierte der amerikanische Kinsey-Nachfolge-report "Sexwende", für den in den 90er Jahren 3.432 Frauen und Männer befragt wurden, einen dramatischen Gender Gap im Sexualleben der Geschlechter: Junge Männer treiben es mit jungen Frauen, ältere Männer treiben es auch mit jungen Frauen und alte Männer sowieso. Resultat: Vier von fünf Männern über 40 haben noch sexuelle Kontakte - aber nur noch knapp eine von zwei Frauen über 40 hat noch ein Sexualleben. Tendenz abnehmend.

    Die Tinas und Hannelores stöckeln zwar tapfer voran, aber über die Mehrheit der Frauen ihres Alters stülpt sich immer noch schon lange vorher die erotische Tarnkappe. So bekam Sexualwissenschaftlerin Sydow bei ihren Feldforschungen vor allem Geschichten über Frustration und Verzicht der älteren Frauen zu hören.

    Einzelne und besonders starke - und darum auch über die diktierte Grenze hinaus auch in Männeraugen als erotisch geltende - Frauen haben das Gebot der erotischen Tarnkappe individuell immer schon außer Kraft gesetzt. Dabei ist es kein Zufall, dass dies insbesondere in frauenbewegten Zeiten oder im Bannkreis weiblicher Macht geschieht.

    So hatte Elisabeth I. mit 60 eine leidenschaftliche Affäre mit einem 35-Jährigen oder Rosa Luxemburg eine lange Beziehung mit dem 15 Jahre jüngeren Kostja, dem Sohn ihrer Freundin Clara Zetkin. Und Simone de Beauvoir ging gleich zweimal, einmal mit Mitte 40 und ein zweites Mal mit Mitte 60, eine jahrelange Love-Affair mit bedeutend Jüngeren ein: beim ersten Mal mit dem 17 Jahre jüngeren Claude Lanzmann, beim zweiten Mal mit der 30 Jahre jüngeren Sylvie Le Bon.

    Zu keiner Zeit also haben einzelne Frauen sich lebendige Lieben wegen ihres Geburtsdatums verbieten und jüngere Männer sich daran hindern lassen, ältere Frauen zu lieben. Jetzt allerdings scheint dieses bisher vereinzelte Phänomen in einen regelrechten Trend umzuschlagen. So ist heute in Deutschland in jeder fünften neu geschlossenen Ehe die Frau älter als der Mann - und in der trendsettenden Hauptstadt war auf dem Standesamt 1999 bei jedem vierten bis dritten Paar sie älter als er. Und auch das deutsche Fernsehen hat den Trend schon aufgegriffen. So liefen Ende letzten Jahres hier gleich zwei Filme zum Thema "ältere Frau und jüngerer Liebhaber": mit Senta Berger in "Probieren Sie's mit einem Jüngeren" und Hannelore Eisner in "Ich schenk' dir meinen Mann". Übrigens: Der Mann im Leben von Hannelore Eisner ist zehn Jahre jünger.

    Der Trend hat Gründe. Ein paar fallen mir spontan ein: Erstens lassen emanzipierte Frauen sich nicht so leicht aufs Altenteil schieben: Sie sind aktiv, ökonomisch unabhängig und selbstbewusst, also auch entsprechend attraktiv. Zweitens hängt der Wert einer Frau heutzutage nicht mehr so zentral von der Mutterschaft und damit auch nicht mehr von ihrer Fruchtbarkeit ab. Drittens verlängert die sich rasant entwickelnde Reproduktionstechnologie die Möglichkeit einer Elternschaft auch für Frauen bis ins Alter. Viertens müssen in einer nicht mehr so auf Fortpflanzung angewiesenen Gesellschaft wie der unseren die jungen Männer nicht länger Zwangsallianzen mit gleichaltrigen Frauen eingehen, son- dem dürfen auch Lieben zu älteren Frauen leben. Fünftens sind eben diese jüngeren Männer geprägt vom Feminismus und haben oft Spaß an starken Frauen - was wiederum auch den selbstbe-wussten Frauen gefällt.

    Mindestens fünf gute Gründe also, die für die Kombination ältere Frau und jüngerer Mann sprechen. Und so manches spricht auch für die Kombination ältere Frau und Frau, gleichaltrig oder jünger. So fanden Sexualforscherinnen heraus, dass bei Männern die Neigung zur gelebten Homosexualität in der Jugend größer ist als im Alter, es die Frauen aber genau umgekehrt halten: Sie haben erst im reiferen Alter verstärkte Tendenzen, sich auch mal in die beste Freundin zu verlieben.

    Erklärungen für die Alterssexualität bei Frauen drängen sich auf. Wo Männer innerhalb der herrschenden männerbün-dischen Jungmännerstrukturen mehr Gelegenheiten zu Homo-Kontakten und im Alter Vorteile in der klassischen Hetero-Ehe haben, fallen Frauen im Gegenteil ab einem gewissen Alter raus aus dem hetero- sexuellen Begehren und haben erst dann auch die innere Gelassenheit, fern von der Definition durch den männlichen Blick ihrem erotischen Interesse für Frauen Raum zu geben. Dass die weibliche Sexualität traditionell nicht so koital fixiert ist wie die männliche und stärker mit Gefühlen verknüpft, fördert den erotischen Trend von älteren Frauen weg von gleichaltrigen Männern und hin zu Frauen.

    Einen ganz entscheidenden Schritt zur Sichtbarkeit weiblichen Begehrens tun die jetzt öffentlich mit jüngeren Männern auftretenden älteren Frauen, weil in diesen Beziehungen die Erotik unübersehbar eine Rolle spielt. Das ist neu. Quälte sich die ansonsten wenig um Konventionen besorgte Edith Piaf in den 60er Jahren noch mit schweren Skrupeln wegen ihrer Ehe mit dem - ihr sehr ergebenen - 32 Jahre jüngeren Griechen Theo Sarapo, so gehen die Stars von heute selbstbewusst in die Offensive.

    So wetterte Hollywood-Star Susan Sarandon, 54, die seit 13 Jahren mit dem zwölf Jahre jüngeren Vater ihrer beiden Kinder, Tim Robbins, zusammen ist, jüngst genervt: "Wie kann es bloß angehen, dass es für viele Männer fast ein Tabu ist, mit einer erwachsenen Frau zu schlafen, die Krähenfüße um die Augen hat - während sie kaum Gewissensbisse plagen, mit einer 14-Jährigen ins Bett zu gehen?!"

    Und Hannelore Hoger, 59, antwortet auf die "Bunte"-Frage, ob sie denn keine Angst habe vor Ressentiments gegen ihre Beziehung mit dem 25 Jahre jüngeren Pianisten Siegfried Gerlich, spöttisch: "Keine Angst, aber ich bin darauf vorbereitet. Weil Frauen ja nicht dürfen, was Männer im gesetzten Alter geradezu als ihre Pflicht empfinden: Nämlich in der Drittehe eine möglichst junge Frau heiraten, die dann auch noch Kinder gebären muss. Von dieser Pflicht bin ich ja nun befreit."

    Übrigens: Kennen gelernt hat Hannelore ihren Siegfried beim - Hamburger Frauenfestival. Vivent Harold und Maude!
    Alice Schwarzer
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