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20 [Zwanzig] Jahre Kampf : EMMA kämpft seit 20 Jahren gegen Pornographie ; angefangen hat es mit dem Stern-Prozeß - weiter geht es mit der Bonner Frauen-Initiative

Verfasst von: EMMA
in: EMMA
1998 , Heft: 3 , 80-81 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1998-3-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: EMMA
In: EMMA
Jahr: 1998
Heft: 3
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • "EMMA" [Feministische Zeitschrift]; "Stern" [Presse];
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:
    20 Jahre Kampf - PorNO
    EMMA KÄMPFT SEIT 20 JAHREN GEGEN PORNOGRAPHIE: ANGEFANGEN HAT ES MIT DEM STERN-PROZESS - WEITER GEHT ES MIT DER BONNER FRAUEN-INITIATIVE.

    Angefangen hat es am 9. Juni 1978 mit einem Anruf des Bonner Korrespondenten der Washington Post bei Emma. Er fragte, was wir denn von dem neuen Stern-Titel hielten? Darüber wären wir doch sicherlich empört und würden uns, ganz wie die Amerikanerinnen, gewiß gegen diese Art von krassem Sexismus wehren, oder? Der Kollege lag nicht falsch. Aber Emma begnügte sich diesmal nicht mit einem geharnischten Kommentar. Emma handelte und verklagte, zusammen mit einer Handvoll Frauen, exemplarisch den Stern (einer für alle) wegen "Verletzung der Menschenwürde aller Frauen". Die sogenannte "Äerw-Klage" erschütterte 1978 die Nation. Wochen-, ja monatelang war sie Thema in der Eckkneipe, in den Büros wie in den Schlafzimmern. Waren wir mutige Frauen, die um ihre Würde kämpften - oder "freudlose Grauröcke", die keinen abgekriegt hatten?

    Der Äerw-Prozeß war nur die erste vieler Etappen in dem seit 20 Jahren währenden Kampf von Emma gegen Pornographie. 1988, zehn Jahre später, folgte die PorTVO-Kampagne, die ebenfalls in einer juristischen Forderung gipfelte: Emma und ihre Sympathisantinnen forderten ein zeitgemäß definiertes Pornographie-Gesetz, in dem es nicht länger um den Verstoß gegen "Anstand und Sitte", sondern um den Verstoß gegen die Menschenwürde gehen sollte. Wieder redeten Frauen wie Männer sich die Köpfe heiß, und selbst die angegriffenen "Männermedien" titelten mit der Kontroverse. 1993 veröffentlichte Alice Schwarzer in Emma eine Analyse der Fotos des museumsgeadelten Modefotografen Helmut Newton. Sie beschuldigte ihn, nicht Kunst, sondern"faschistoide Propaganda" zu betreiben. Wieder polari sierte ein Prozeß die Debatte. Doch diesmal klagte der Kritisierte. Newton fand, daß Emma ihm die zur Bildanalyse veröffentlichten 19 Fotos hätte honorieren müssen. Helmut Newton und sein Verlag Schirmer/Mosel verloren den Prozeß - halb. Das Münchener Gericht bestätigte Emma das Recht auf "Bildzitate zur wissenschaftlichen Analyse". Doch es fand, Emma hätte sich mit neun Abbildungen begnügen sollen. Eine willkürliche Entscheidung, die eher mit Emotionen als mit Recht zu tun hatte. Dennoch verzichtete Emma darauf, zur nächsten Instanz zu gehen. Inzwischen waren längst nicht mehr immer alle Frauen gegen Pornographie und nicht alle Männer dafür - auch wenn das Pro und Contra in der Mehrheit eine Geschlechterfrage blieb. Doch kämpft längst eine ernstzunehmende Minderheit von Männern an der Seite der Frauen gegen die entwürdigenden Bilder - und eine Minderheit von Frauen findet Pornos sogar "geil". Daß es bei Pornographie nicht um die Lust an der Lust geht, sondern um die Lust an der Erniedrigung und Gewalt, ist inzwischen allen klar. Mehr noch: Pornographie ist die Reaktion der Männergesellschaft auf die Emanzipation der Frauen. Denn Pornographie degradiert den weiblichen Menschen (wieder) zum Untermenschen. Schon in der von Emma 1978 initiierten Klage gegen den Stern hatte es geheißen: Die Beklagten (vom Stern) verletzen fortgesetzt und sogar zunehmend die Menschenrechte von mehr als der Hälfte der Bevölkerung, der Frauen. In eklatanter Weise verstoßen sie gegen deren Recht auf Menschenwürde und auf Gleichbehandlung, was zugleich das Recht auf Freiheit vor Diskriminierung beinhaltet. Durch derartige Abbildungen werden Frauen nicht nur als Objekt männlicher Lust dargeboten, sondern darüberhinaus als Mensch erniedrigt. Die Beklagten setzen solche Darstellungen ganz gezielt ein. Zwischen Auflagenhöhe und solchen Titelbildern besteht ein direkter Zusammenhang. Außerdem beabsichtigen die Beklagten durch diese Art von Darstellung die Perpetuierung bestehender Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Die klagenden Frauen wußten damals sehr wohl, daß sie diesen Prozeß verlieren mußten - denn es gab (und gibt) im deutschen Recht keine gesetzliche Grundlage für einen solchen Prozeß. Als Richter Engelschall am 26. Juli 1978 im Hamburger Landgericht sein Urteil verkündete, gab er den Klägerinnen zwar moralisch recht — juristisch jedoch mußte er sie enttäuschen. Engeischall: Die Kammer verkennt nicht, daß es ein berechtigtes Anliegen sein kann, auf eine der wahren Stellung der Frau in der Gesellschaft angemessene Darstellung des Bildes der Frau in der Öffentlichkeit und insbesondere den Medien hinzuwirken. Soll - wie es die Klägerinnen wünschen - die staatliche Gewalt mobilisiert werden, dann sind indes dafür nicht die Gerichte zuständig. Mit einem solchen Anliegen müßten sich die Klägerinnen an den Gesetzgeber wenden, denn diese Klage hat in dem geltenden Rechtsschutzsystem keinen Platz. Die Männerpresse, die ihre Titel mit der Haut von Frauen zu Markte trug (und trägt), schäumte dennoch. Über die "Meinungs- und Geschmacksdiktatur" der Protestierenden höhnte Rudolf Augstein im Spiegel, die wollten "aus blinder Wut" den"politischen Rechtsstaat zerstören".

    Emma ließ sich nicht einschüchtern: 1986 thematisierte Alice Schwarzer die zunehmenden sado-masochistischen Tendenzen und Folterphantasien in der Pornographie, die sich vor allem in Zeitgeist-Magazinen wie Wiener oder Tempo ungeniert breit machten. Sie schrieb:

    Sie fesseln uns. Foltern uns. Ermorden uns. Denn genau das macht den neuen Mann heiß: die kalt gemachte Frau. Ihm reicht's endgültig mit der Emanzipation. Das ist die Reaktion auf uns. Wir haben es gewagt, nicht nur Arsch, sondern auch Kopf zu haben. Wir haben es gewagt, ein Gesicht zu haben. Und genau das will man uns wieder nehmen. Das ist die Reduktion weiblicher Menschen auf ihren Körper. Auf einen kolo-nialisierten Körper, auf dem der Mann seinen Claim absteckt, wie es ihm beliebt. Den er benutzt, verhöhnt, verstümmelt. Das ist die Antwort der neuen Männer auf die neuen Frauen, Ein Jahr darauf, ab Oktober 1987, ging Emma erneut in die Offensive. Sie startete PorNO, eine breite Informationsund Aufklärungskampagne, veröffentlichte das Standardwerk von Andrea Dworkin ("Pornographie. Männer beherrschen Frauen") und legte einen Vorschlag für ein Anti-Pornographie-Gesetz vor. Das hatte Alice Schwarzer damals im wesentlichen zusammen mit der heutigen Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit erarbeitet. Das Herzstück dieser Pornographie-Definition von 1988 wurde jetzt von der Bonner Frauen-Initiative übernommen (siehe Seite 24). Erhitzte Debatten, Aufregung in den Medien, ja sogar ein Hearing in Bonn. Und dann? Dann verschwand alles wieder in der Schublade. Damals hatte Alice Schwarzer in ihrem Kommentar "Die Würde der Frau ist antastbar" ahnungsvoll geschrieben: Pornographie macht die Frauen und die Sexualität kaputt. Pornographie, dieses 'kalte Herz der Frauenfeindlichkeit' macht 'Sexismus sexy' (MacKinnon). Mehr noch: Sie macht den Geschlechterkampf zum Geschlechterkrieg. Pornographie ist Kriegspropaganda gegen Frauen. Sie sind in diesem Krieg schon weit gekommen: Am Anfang haben sie uns 'nur' ausgezogen; dann haben sie uns 'nur' vergewaltigt; dann haben sie uns 'nur' gefoltert; jetzt zerstückeln sie uns. Immer mehr wird die Porno-Produktion zur Gewalt-Porno-Produktion. Jeder Bürger ein de Sade. Das ist Demokratie im Patriarchat. (...) Die Würde der Frau ist antastbar. - Wie lange noch ? Jetzt, zehn Jahre später, ist das Problem weiter eskaliert: die meisten Medien veröffentlichen längst Bilder als "normal", die früher nur unter dem Tisch gehandelt worden wären. Und die pornographischen Darstellungen werden immer brutaler und sadomasochistischer. Phantasien, die immer häufiger in die Tat umgesetzt werden. Zeit, endlich zu handeln.

    10 Forderungen

    Die Erfüllung der nachstehenden Forderungen würde den Kampf gegen die Sexualgewalt zum Schutz von Kindern und Frauen effektiver machen. Emma veröffentlichte diese Liste erstmals im November 1996. Inzwischen ist unter dem Druck der Kindermorde einiges passiert. So arbeiteten die Ermittlungsbehörden im Fall der ermordeten Christina mit der DNA-Analyse. Und Videoaufnahmen als Beweismittel sind zumindest zugelassen, auch wenn sie keineswegs schon immer praktiziert werden. Wir fordern darum:

    1. Ein neues Strafgesetz und Zivilgesetz gegen Pornographie als "Verstoß gegen die Menschenwürde"!

    2. Lebenslange Sicherheitsverwahrung für Täter, die wiederholt Kinder oder Frauen mißbrauchen, vergewaltigen, ermorden!

    3. Einmalige Vernehmung von kindlichen Opfern sexueller Gewalt und Zulassung von Videoaufnahmen als Beweismittel vor Gericht!

    4. Ausschließliche Zulassung von spezialisierten Psychiatern als Gerichtsgutachter!

    5. Zulassung der DNA-Analyse (genetischer Fingerabdruck) als Beweismittel vor Gericht!

    6. Vom Staat finanzierte "Opferanwälte" und "Rehabilitationszentren" für die Opfer sexueller Gewalt!

    7. Zusammenarbeit aller mit Sexualgewalt befaßten Behörden: vom Jugend- und Sozialamt über Polizei bis Justiz!

    8. Erfassung von (Kinder)Porno-Produzenten und -händlern sowie Sexualstraftätern in einer Zentraldatei!

    9. Ausreichend Frauen- und Mädchenhäuser!

    10. Entfernung gewalttätiger Männer aus der Wohnung, damit nicht die Frauen und Kinder flüchten müssen, sondern zuhause bleiben können!
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