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Verfasst von: Ott, Ursula
in: EMMA
1993 , Heft: 4 , 40-44 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1993-4-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Ott, Ursula
In: EMMA
Jahr: 1993
Heft: 4
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • Vereinigung der Neuen Weltsicht (AMGT)
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:
    Die kleine Fatima war von ihrer Freundin zu deren Geburtstag eingeladen worden. Sie fragte ihre Mutter: "Mutti, Elke hat mich für heute zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen, darf ich dorthin gehen?" Ihre Mutter antwortete: "Da mußt du erst Vater fragen!" Doch ihr Vater entgegnete: "Gehe besser nicht dorthin, mein liebes Töchterchen, denn Elke und ihre Eltern und ihre Freundinnen sind keine Muslime. Sie tun Dinge, die Gott und sein Gesandter - Gott segne ihn und spende ihm Heil - uns Muslimen verboten haben und die ein rechtschaffener Mus-lim auch von sich aus verabscheut. Wenn ich dich jetzt zu Elkes Geburtstagsfeier lasse, liebe Fatima, dann wird man dir dort wahrscheinlich Würstchen anbieten, in denen Schweinefleisch ist, und das ist für uns Muslime verboten. Und dann machen sie Musik und tanzen dazu, Jungen und Mädchen gemischt. (...)" "Danke, lieber Vater, für die interessante Antwort!" sagte Fatima. "Ich mag jetzt gar nicht mehr zu Elkes Geburtstagsfeier gehen, sondern lerne lieber ein paar Koranverse auswendig." Hätte ein deutscher Journalist diese Kindergeschichte erfunden, wäre sie rassistisch - so doof ist keine "Fatima", oder? Die Geschichte stammt jedoch von einem islamischen Lehrer, sie ist abgedruckt in "Du und der Islam", dem Schulbuch einer Münchner Koranschule. Erzählen wir eine zweite Geschichte, eine, die nicht in der Koranfibel steht. Die von Leyla, geboren in der Nähe von Waldshut auf der Schwäbischen Alb. Leyla lernt in der Schule deutsche Freunde kennen, sehr zum Unwillen ihres streng religiösen Vaters. Als Leyla 14 ist, wird sie gegen ihren Willen verlobt. Sie läuft von zu Hause weg, wird aber von der Polizei zu den Eltern zurückgebracht. Ein Jahr später Zwangs-Hochzeit mit einem ihr unbekannten türkischen Mann. Wieder läuft Leyla weg, wieder wird sie zurückgeholt. Mit 17 will Leyla sich scheiden lassen - doch plötzlich ist sie verschwunden. Am 9. März 1993 findet die Polizei in einer Tannenschonung in Wutöschingen bei Waldshut den Torso eines weiblichen Körpers. Es sind Teile der Leiche von Leyla. Ermittlungen ergeben: Am 16. März 1993 haben Leylas Eltern das Alb-Dorf fluchtartig mit dem Taxi in Richtung Flughafen Zürich verlassen. Per Interpol wird der Vater in der Türkei gesucht und gefunden. Er gesteht den Mord sofort. Er habe, sagt er, "die Familienehre retten" müssen. Diese Geschichte ist leider nicht erfunden. Über 350.000 muslimische Mädchen in Deutschland sind zerrissen zwischen zwei Welten, zwischen der religiösen zu Hause und der weltlichen draußen. Dieser Riß wird von Tag zu Tag tiefer. Denn trotz "Multi-kulti" mit gutgemeinten Slogans wie "Mein Freund ist Ausländer" entfernt sich der Alltag der Muslimln-nen immer mehr vom Alltag der Deutschen. Deutschland hat in der Vergangenheit wenig getan, den "Gästen", die doch längst Nachbarn sind, eine Heimat zu bieten: Türkische Kinder, die hier geboren sind, bekommen keinen deutschen Paß. Sie sind nicht nur zu Hause unter sich, sondern auch im Klassenzimmer: In Nordrhein-Westfalen schicken immer mehr deutsche Eltern ihre Kinder in eine "türkenfreie" katholische Konfessionsschule. Nebenan in der staatlichen Schule sind dann neun von zehn Kindern ausländischer Herkunft. Das ist der Humus, auf dem der islamische Fanatismus sprießt. Mit dem Wohlwollen sogenannter "Multikultureller" und dem Geld deutscher Behörden propagieren die Fundamentalisten die Entrechtung der Frau und den Haß auf "den Westen". Die 17jährige Leyla kostete das das Leben. 1,7 Millionen Moslems leben heute in der Bundesrepublik, 750.000 davon sind unter 16, etwa die Hälfte davon Mädchen. Der Islam ist die "aktivste Religion in Deutschland", so rechnet Salim Abdullah, der Leiter des Islam-Archivs in Soest, selbstbewußt vor: Nur jeder 20. Protestant und jeder fünfte Katholik geht sonntags in die Kirche. Aber jeder zweite Moslem in Deutschland betet freitags in einer der 1.200 Moscheen gen Mekka und fastet im Ramadan. Doch längst geht es um mehr als um den Glauben. Über 1000 islamische Vereine haben in den letzten 30 Jahren ein umfassendes Netz aufgebaut: Teestuben, Lebensmittelläden, Kindergärten, Sportclubs, Studentenwohnheime, Rechtsberatung, Lohnsteuer-Büros, Heirats-institute. Die "islamische Solidaritätsgesellschaft", eine saudische Gründung, bietet in Deutschland lebenden Moslems sogar Lebens-, Unfall-, Aussteuer- und Rentenversicherungen an. Eine Hochburg des Islam in Deutschland ist Köln. 1966 öffnete der damalige Kardinal Frings den türkischen Muslimen das Portal zum Kölner Dom: Am Ende des Fastenmonats Ramadan1 neigten sich verschleierte Köpfe und bärtige Gesichter zum christlichen Altar. 25 Jahre später sind die Kölner Muslime auf diese Art von Toleranz nicht mehr angewiesen. Als Ende März 1993 das Fasten gebrochen wird, erschallt der Ruf des Muezzin in 28 Kölner Moscheen. In Köln predigt Cemalettin Kaplan, der "Khomeini von Köln": "Das Ziel ist der islamische Staat mit dem Koran als Grundgesetz." In Köln sitzt die mitgliederstärkste Moslemorganisation Westeuropas. Von Köln aus werden Prozesse gegen deutsche Schulleiterinnen gestartet, die es wagen, türkische Mädchen mitturnen und mitschwimmen zu lassen. In Köln haben alle großen islamischen Vereine ihre Zentrale, von hier kontrollieren sie mehr als 2000 Gemeinden in ganz Westeuropa mit über 4 Millionen Gläubigen. In Köln sitzt auch die offizielle türkische Religionsbehörde, die dem fanatischen Treiben Einhalt gebieten soll. Al-lahu-akbar.

    Allah ist groß. Am größten ist die "Vereinigung der Neuen Weltsicht", auf türkisch AMGT. Was sich anhört wie die Abkürzung eines Automobil-Klubs, ist die Spitzentruppe unter den islamischen Vereinen: 110.000 Mitglieder hat AMGT, der deutsche Arm der türkischen "Wohlfahrtspartei". Dank eines Wahlbündnisses mit den faschistischen "Grauen Wölfen" sitzt die Erbakan-Partei im Parlament. Ihr Chef: Necmettin Erbakan. Sein Ziel: Aus der Türkei einen islamischen Gottesstaat zu machen. Nicht umsonst ist die AMGT im Verfassungsschutz-Bericht unter dem Stichwort "Ausländer-Extremismus" aufgeführt. Allerdings nicht wegen "Sexismus" - der ja der deutschen Verfassung auch widerspricht - sondern wegen "Antisemitismus", artikuliert in einem Pamphlet über die "Grausamkeit der Juden". Das geht ja gern zusammen: der Sexismus und der Antisemitismus. Allah ist groß. In der Merheimer Straße 229, dem Sitz der AMGT, wird Allahs Botschaft vor allem jungen Musliminnen nahegebracht. Alle 14 Tage drücken 20 streng verschleierte junge Türkinnen Samstag nachmittags die harte Holzbank in der Merheimer Straße. "Stürzt Euch auf den Koran", beschwört die Lehrerin, "stürzt Euch nicht auf westliche Wissenschaften, weil sie ohne das von Allah geschaffene System nichts sind. Nur eine göttliche Ordnung, der Islam, ist der Ausweg aus Umweltzerstörung und Krieg." Die Kurse sind die neueste Idee der AMGT-Chef-ideologin Aminah Erbakan, 50, deutsche Muslimin und Schwägerin des türkischen AMGT-Chefs Necmettin Erbakan. Erbakan ist die "Pressesprecherin" und "zweite Vorsitzende der deutschen islamischen Frauengemeinschaft". Und sie ist gelernte Juristin. Nach Informationen der "Zeit" steckt sie - zusammen mit ihrem ebenfalls rechtskundigen Sohn - hinter den zahlreichen Prozessen gegen deutsche Schulrektoren. Streitpunkte: Kopftuch in der Schule, Befreiung vom Turnen und vom Schwimmen, oder die Sexualkunde. Allah ist groß. Dagegen kommt ein einfaches deutsches Gesetz nicht ohne weiteres an. Legionen von deutschen Richtern mußten sich schon den Kopf zerbrechen: Was geht vor - der "Erziehungsauftrag" der deutschen Schule oder das "Erziehungsrecht" der moslemischen Eltern? Daß sich die meisten Richter für letzteres entschei- den, hat auch damit zu tun, daß Kinder in Deutschland den Eltern gehören. Und wer schützt die Kinder vor ihren Eltern?

    Zwar entschied die Stadt Köln, ein achtjähriges türkisches Mädchen könne ruhig am Schwimmunterricht teilnehmen. Doch vom Oberverwaltungsgericht in Münster bekamen die Kölner eine Abfuhr: Das Mädchen muß nicht mitschwimmen, Elternrecht vor Erziehungsauftrag - so das "Grundsatzurteil". Aminah Erbakan kann zufrieden sein. Allah ist groß. "Salem aleikum bei Theissen", meldet sich eine Frauenstimme am Telefon. Die 38 Jahre alte Kölner Lehrerin Erika Theissen, Mitstreiterin von Aminah Erbakan, ist mit einem Libanesen verheiratet und vor fünf Jahren zum Islam konvertiert. Sie fastet im Ramadan und hat sogar schon die heiligste Moslem-Pflicht erfüllt: die Pilgerreise nach Mekka. Sie verhüllt sich in einem Kopftuch und einem weiten Gewand. "Herrlich, wie frei ich mich damit bewege", schwärmt sie, "mich quetscht keine enge Jeans mehr ein, ich brauche keine Wimperntusche." Erika Theissen leitet ein "Schwimmtreffen für islamische Mädchen", für das ihr die Stadt Köln zwei Stunden in der Woche das städtische Neptunbad zur Verfügung stellt. Auf Bewegung brauchten die Mädchen nicht zu verzichten, findet die Sportlehrerin, auch nicht aufs Turnen in der Schule: "Da wird das Kopftuch hinten ge-knüft und ein weiter Jogginganzug angezogen, dann ist das gar kein Problem."

    "Auf gar keinen Fall" sollten türkische Mädchen das Kopftuch in der Schule ablegen, findet die deutsche Muslima, "dann würden sich die Mädchen ja total anpassen, so können sie sich nie emanzipieren!" Apropos Emanzipation. Kaum eine Forderung der deutschen Frauenbewegung, die nicht perfekt in die Argumentation deutscher Musliminnen eingepaßt wird. Stichwort Koedukation: "Das war keine Errungenschaft", ist sich die Muslima mit feministischen Lehrerinnen einig, "da brüllen die Jungs, und die Mädchen kommen nicht zu Wort." Sie plädiert darum für getrennten Unterricht. Stichwort Pornographie: "Diese Gewaltpornos gehen mir so nahe", klagt die islamische Lehrerin. "Wenn ich mir vorstelle, diese pubertierenden Jungs haben sich grade einen Porno angeguckt und ziehen mich dann mit ihren Blicken aus." Deshalb gehe sie im Schleier, "ich will als Mensch wahrgenommen werden." Traurige Alternative: Hure - oder Gefesselte im Tschador.

    Theissen selbst will demnächst wieder als Lehrerin in Köln unterrichten, selbstverständlich mit Kopftuch, "warum denn nicht?" Bei anderen Religionen ist das Kultusministerium da übrigens strenger: Rote Kleidung von Kopf bis Fuß, Zeichen der "Bhagwan"-Sekte, wurde einem deutschen Lehrer verboten. Allah ist größer als Bhagwan. Auch in den Kölner Klassenzimmern sitzen immer mehr Schülerinnen mit Köpftuch. "Früher waren das vielleicht eine oder zwei an der ganzen Schule", erinnert sich Lehrerin Gisela Winners aus Köln-Kalk. "Heute hat jedes zweite türkische Mädchen über 14 ein Kopftuch auf." Lehrerinnen aus anderen Städten bestätigen den Trend. "Seit einem halben Jahr tragen sechs Schülerinnen Kopftücher und bodenlange, Tschador-ähnliche Mäntel", so Bärbel Oerke aus Stadthagen. Ihre Kollegin Maria Peters aus Lauenburg schüttelt den Kopf: "Sogar die türkischen Mitschüler ma- der Erbakan-Truppe AMGT. Keine einzige Türkin ist in diesem Gremium vertreten. "Ich wollte mich zur Wahl aufstellen lassen", berichtet die Kölner Politik-Studentin Sefa-Inci. Doch türkische Freunde winkten ab: Wenn du nicht in einem der Verbände bist, hast du keine Chance. "Da sitzen nur die linken Kurden und die rechten Fundamentalisten", so Sefa-Inci enttäuscht. "Alles Macker. Ich hab da keine Chance." Was die islamischen Vereine kommunalpolitisch durchsetzen wollen, ist klar: die städtische Förderung ihrer Vereine und Koranschulen. "Wir sind ja gegenüber den Christen im Nachteil", findet Salim Abdullah vom Islam-Archiv. "Wir bezahlen Steuer, und davon werden christliche Kindergärten finanziert." Offiziell bekommen islamische Vereine - bisher - keine Gelder vom deutschen Staat, auch nicht für Koranschulen. "Wir stellen einen Antrag nach dem ändern", so Abdullah bedauernd, "aber alle werden abgelehnt." Doch wer weiß wirklich, was unter dem Etikett "Kulturverein" von den Kommunen gefördert wird? Der Kölner Ausländerbeauftragte Friedemann Schleicher: "Wir finanzieren keine Fundamentalisten." Aber: "Wenn die islamischen Vereine ihre islamischen Altersheime und Kindergärten aufmachen, dann werden wir das im Rahmen dessen fördern, wie wir auch christliche Kindergärten fördern." Allah ist groß. Islamische Kindergärten, in denen schon den kleinen Mädchen eingebleut wird, daß sie nur halb so viel wert sind - rosige Aussichten. Deutsche Multikultis finden das schick. Der sogenannte Linke Claus Leggewie, der sich jüngst in der "Zeit" mit einem Plädoyer für die autoritäre Erziehung hervortat, empfiehlt in seinem neuen Buch "Alhambra - der Islam im We- sten" der Bundesregierung geradezu, "in islamische Universitäten und Kirchen zu investieren". O-Ton Legge-wie: "Eine gewisse Islamisierung des christlichen Abendlandes, das nach dem Tod Gottes den Glauben an sich selbst verloren hat, kann nicht nur den modernen Muslimen aufhelfen, sondern auch Europa nachhelfen." Islamisierung des Abendlandes - da ist Genösse Leggewie sich einig mit dem Gottesmann Williges. Der evangelische Pfarrer aus Braunschweig schlug zu Jahresbeginn vor, deutsche Frauen sollten an einem Tag im Monat ein Kopftuch aufsetzen, aus Solidarität mit den Türkinnen. Wie war's mit einer symbolischen Klitorisbeschneidung, Herr Pfarrer, aus Solidarität mit den Ägypterinnen? In Wahrheit geht die religiöse islamische Gemeinde in Deutschland keinesfalls einen "Schritt in Richtung Westen", sondern ist längst in der Hand iranischer und saudischer Fundamentalisten. In den Koranschulen wird nicht Integration, sondern Separation und Abscheu vor dem dekadenten Westen gepredigt. Statt einer "multikulturellen Gesellschaft" ist eine "Parallelgesellschaft" entstanden, die der Orientalist Karl Binswanger treffend analysiert: Eine islamische Gesellschaft, die mitten in Deutschland ihre vollkommen separate Infra-' Struktur aufgebaut hat. Und in dieser Struktur zählen die Frauen nicht viel. Menschenrechte sind keine Ansichtssache, über die der eine so und der andere anders denkt. Das weiß der CDU-Vordenker Heiner Geißler besser als mancher Genösse: "Diskriminierung von Frauen, Terror und Blutfehden bleiben Verletzungen der Menschenrechte, gleichgültig, ob sie im Namen Allahs oder der Weltrevolution praktiziert werden." URSULA OTT
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