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Else Lasker-Schüler

Verfasst von: Domin, Hilde info
in: EMMA
1986 , Heft: 7 , 34-38 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1986-7-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Domin, Hilde info
In: EMMA
Jahr: 1986
Heft: 7
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
HILDE DOMIN über: Else Lasker-Schüler

Einen "Eise Lasker-Schüler-Preis" fordert die Lyrikerin, deutsche Jüdin und Emigrantin Hilde Domin. Ihrem Aufsatz über die Lyrikerin, deutsche Jüdin
und Emigrantin Eise Lasker-Schüler gab sie den programmatischen Titel: "Nur Ewigkeit ist kein Exil".

Ich habe ziemlich viele Menschen getroffen, die Eise Lasker - Schüler
noch persönlich gekannt haben. Aber ich kann nicht behaupten, daß Eise Lasker - Schüler für mich eine besondere Identifikationsfigur gewesen wäre. Gelockt hat mich das Widersprüchliche und zugleich Exemplarische an dieser Erscheinung. Aber während der Arbeit ist sie mir auf unerwartete Weise nahegekommen. Das Irritierende an ihr ist, zumindest für einen Lyriker, daß Eise Lasker-Schüler, einer der exzentrischsten Menschen der exzentrischen Dekade der 20er Jahre in der Weimarer Republik, plötzlich, heute und hier, zu einem Maßstab gemacht worden ist: für schreibende Frauen. Keine Lyrikerin kann einen ersten Gedichtband vorlegen, in der Bundesrepublik, ohne sogleich zu lesen: "so gut wie Lasker-Schüler" oder "kann sich neben oder hinter Lasker-Schüler behaupten". Gleichgültig, wie entfernt das Buch der neuen Autorin in Form und Inhalt auch vom Werk der Lasker steht. Das Allermerkwürdigste daran ist wiederum, daß Lasker-Schüler ihrerseits, immer noch eines literarischen Bürgen bedarf, eines Mannes. So zitiert selbst ihr eigener Verlag, Kösel, und nicht nur er, als Gewährsmann Gottfried Benn. "Dies war die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte", so sagte er 1947 in einer in Berlin gehaltenen Rede, und so liest man es allenthalben. Sie bedeute ihm, so fährt er fort, "mehr als die Droste, als Sophie Mereau oder Ricarda Huch". Einem Menschen wie mir fällt hier peinlich auf, daß die Lasker als Autorin nur mit schreibenden Frauen verglichen wird, sogar mit Frauen wie der Mereau, deren lyrisches Werk als liebenswert und unbedeutend zu Recht vergessen wurde. Weit fortschrittlicher hat sich da Karl Kraus geäußert. "Diese neun Zeilen der Lasker", sagt er von einem ihrer schönsten Gedichte, "sind mir den ganzen Heine wert" (den Kraus übrigens ohnehin nicht sehr schätzte). Prinz von Theben
Das erste Mal, ich war erst wenige Wochen nach Deutschland zurückgekehrt, sagte Dr. Schöningh, 1954 noch Herausgeber des "Hochlands" und der "Süddeutschen Zeitung", zu mir: "Sie sitzen mir gegenüber genau wie die Lasker-Schüler", woraus ich schließe, daß ich etwas unvorschriftsmäßig auf der Ecke seines Bürotischs in der Sendlinger Straße saß. Denn physisch habe ich ja wirklich keine Ähnlichkeit mit ihr.

Eise Lasker-Schüler, geboren 1869 in Elberfeld, gestorben am 22. Januar 1945, also vor Kriegsende, in Jerusalem, wo sie oben auf dem Hang des ölbergs begraben liegt, verbrachte ihre letzten Jahre keineswegs in ihrer Wunschheimat. Das wird so oft beschönigend gesagt. Dennoch, Jerusalem blieb für sie ein Symbol, der Stein gleichsam, aus dem die Welt mit all ihren Ländern geschnitten wurde. Eise Lasker-Schüler, wenngleich "ein Kind der Propheten Jesaias und Jeremias", wie sie von sich selber sagte, ist ganz wie Heine das Heimweh nach Deutschland, "meiner geliebten Heimat", nie losgeworden. "Aus der Ferne" ist eines ihrer letzten Gedichte:

"Die Welt, aus der ich lange mich entwand,

Ruht kahl, von Glut entlaubt, in dunkler Hand; Die Heimat fremd, die ich mit Liebe überhäufte, Aus der ich lebend in die Himmel reifte.

Es wachsen auch die Seelen der verpflanzten Bäume Auf Erden schon in Gottes blaue Räume,

Um inniger von Seiner Herrlichkeit zu träumen. Der große Mond und seine Lieblingssterne, Spielen mit den bunten Muschelschäumen Und hüten über Meere Gottes Geist so gerne.

So fern hob ich mir nie die Ewigkeit gedacht. . . Es weinen über unsere Welt die Engel in der Nacht. Sie läuterten mein Herz, die Fluren zu versüßen, Und ließen euch in meinen Versen grüßen."

Dieses "Euch" sind ihre deutschen Freunde, denen sie ihren letzten, 1943 in Jerusalem "Mein blaues Klavier" mit diesen Worten widmete: "Meinen unvergeßlichen Freunden und Freundinnen in den Städten Deutschlands. Und denen, die wie ich vertrieben und nun zerstreut in der Welt, in Treue." Ich, die ich die deutsche Exilliteratur recht gut zu kennen glaube, habe keine herzlichere und rückhaltlosere Widmung an deutsche Freunde in den deutschen Städten und im Exil gelesen.

Die Aussteigerin

"In Treue", schrieb sie. Und dies im Jahre des Unheils 1943, dem Jahr, in dem das große Massenmorden begann: in dem Nelly Sachs, die zwanzig Jahre Jüngere, ihr Buch "Die Wohnungen des Todes" schrieb. Als Eise Las-ker-Schüler auf dem ölberg begraben wurde, 1945, schrieb Celan die "Todesfuge". "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland". Zu ihrem Grabstein möchte ich übrigens noch sagen: sie wurde ja in Palästina begraben, noch vor der Gründung des Staates Israel, und lag auf einem jüdischen Friedhof hoch gegenüber der alten Stadt. Die Jordanier haben dann das Gebiet besetzt und auf dem Friedhof ein - heute noch bestehendes - Luxushotel gebaut. Als das Gebiet 1967 wieder in jüdische Hände fiel, hat man die Steine ausgegraben und etwas tiefer auf den gleichen Hang gelegt, wo ich das Grab im Jahre 1972 gesehen habe. Ich wohnte in einem deutschen Kloster der Altstadt von Jerusalem, geführt wurde ich die Hänge entlang von einem Englisch sprechenden Araber, der mir auch das Grab zeigte.

Eise Lasker-Schülers kindliche Vorstellung war es ja, Juden und Araber auf einem Reibekuchenfest in Elberfeld miteinander zu versöhnen. Auf jeden Fall: zu versöhnen. Die Liebe war ihr Hauptgedanke:

"Das ewige Leben dem, der viel von Liebe weiß zu sagen. Ein Mensch der Liebe kann nur auferstehen! Haß schachtelt ein! Wie hoch die Fackel auch mag schlagen",

schrieb sie in einem ihrer allerletzten Gedichte. "Mir ist auf Erden weh geschehen", geht das Gedicht weiter "Mein Name war ein Seufzer, der zerstob." Nein, das ist nicht mehr Eise Lasker-Schü-ler, das ist der Seufzer Ivan Golls, des "Johann-Ohne-Land", Generationsgenosse der Nelly Sachs, Schicksalsgenossen alle drei: deutsche Dichter, verfolgt von Hitler. Es ist bekannt, daß Eise Las-ker-Schüler zeit ihres Lebens in einer von ihr persönlich gewählten Verkleidung einherging: als Prinz von Theben, Jussuf oder auch Tino, also als Joseph in Ägypten. Sie verlieh Orden und Auszeichnungen für diesen Phantasiestaat. Man würde sie heute einen "Aussteiger" nennen.

Benn beschreibt sie so: "Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne daß alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante weite Röcke oder Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit auffallendem, unechtem Schmuck, Ketten, Ohrringen, Talmiringe an den Fingern, und da sie sich un-
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