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Die Hölle: die Vorhölle

Verfasst von: Wittig, Monique info
in: EMMA
1986 , Heft: 3 , 42-43 S.
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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1986-3-a
Formatangabe: Buchauszug
Link: Volltext
Verfasst von: Wittig, Monique info
In: EMMA
Jahr: 1986
Heft: 3
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Nachfolgend zwei Auszüge aus dem neuesten Buch von Wittig, "Virgile, non", einer Neubeschreibung von Dantes "Göttlicher Komödie".

DIE HÖLLE

Der Lärm, die Erregung und das Gedränge sind so groß, daß ich schreien muß, um Manastabal, meine Führe-rin, zu fragen, zu was für einer Parade sie mich eigentlich geladen hat. Manastabal, meine Führerin, begnügt sich damit zu sagen:

(Es ist eine Art Revue wie in den Folies Bergeres, nur im Freien.)

... Die Menge tritt sich auf die Füße und verrenkt die Hälse nach beiden Seiten, um die Parade kommen zu sehen. Manastabal, meine Führerin, ermahnt mich wiederholt, meine Ungeduld zu zügeln, weil es bei einer solchen Vorführung nichts zu holen gebe. Mehrmals sagt sie mit Nachdruck: (Denk daran, Wittig, wir befinden uns in der Hölle.) ... Es handelt sich tatsächlich um eine Revue mit der gehörigen Menge an glänzendem Stoff und nacktem Fleisch. Die mit großen Federbüscheln am Hintern und ebenfalls am Kopf marschieren vorneweg, wobei sie die Federn auf ihrem Haupt und die Federn auf ihrem Arsch schwingen lassen. Die mit Kaninchenohren und weißen runden Kaninchenschwänzen marschieren gleich dahinter, und auch die lassen die langohrigen Köpfe und ihre kleinbeschwanzten Arsche schwingen. Danach kommen die, die ihre Beine bis über den Kopf heben, den ihr hochgeschlagener Rock verdeckt und dessen Anblick sie durch den ihrer Unterwäsche ersetzen. Dahinter marschieren die, die Miniröcke tragen, ein zähnebleckendes Lächeln aufs Gesicht gemalt. Einige tragen Hauben. Wenn sie etwas fallenlassen, bücken sie sich seitlich, die Schenkel zusammengepreßt, die Arme eng angelegt, und bilden eine Art Ziehharmonika, was übrigens völlig zwecklos ist, weil sie irgendwann doch ihre Höschen zeigen. Anschließend kommt die große bunte Menge der er, die Abendkleider tragen, das heißt lange Kleider, deren Oberteil manchmal vorn, manchmal hinten und manchmal vorn und hinten gleichzeitig bis zur Taille offen ist, so daß in den rundlich zusammengehaltenen Öffnungen des Stoffs die Brüste auf der Vorder- und die Schulterblätter auf der Rückseite wie in Obstkörben dargeboten wirken. Sie sind am zahlreichsten, und zwar deshalb, weil das Abendkleid die Uniform ist, die dazu dient, sowohl eine Biersorte, eine Auto- oder Kühlschrankmarke zu präsentieren, als auch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Feind von denen da oben zu demonstrieren. Alle Gestalten, die bisher vorbeigezogen sind, gehen auf hochgestellten Füßen, und nur ihre Zehen berühren den Boden. Die Prozession ist sehr langsam, das versklavte Fleisch bewegt sich so lala voran, durch die hochgestellten Füße den Rücken durch- und den Po in Richtung einer imaginären Steilkurve nach oben gebogen, während Brüste, Schultern und Schenkel nach unten zeigen. Ich rufe Manastabal, meiner Führerin, zu:

(Es wird noch etwas dauern, bis wir die Armee von Spartakus haben.)

Sie ziehen tatsächlich nicht wie die Athleten des Feindes vorüber, die ihre Muskeln spielen lassen, sondern bei ihnen haben die Muskeln ausgespielt, ein Muskel schlapp über dem anderen, als könnten sie sie schier nicht mehr halten. Als ich sehe, wie sich diese Muskeln aufgeben, packt mich die Wut, und ich kann nicht anders als ihnen laut zurufen: (Das ist für den Fleischwolf.) Ich höre, wie mir eine Stimme von einer Seite des Platzes aus antwortet:

(Du mußt wohl mal durchgefickt werden.)

... Die Parade ist langsamer geworden. Denn hinterdrein kommen nun die, die zu den verschiedenen privaten wie öffentlichen pornographischen Institutionen gehören. Sie tragen Ketten um Fesseln und Handgelenke. Von dieser ihrem Status entsprechenden Anschirrung abgesehen, sind sie nackt und gehen auf hochgestellten Füßen. Sie tragen Nylongürtel, von denen eine Art Glockenschwengel herabbaumelt und auf ihre Pobak-ken schlägt. Die, die keine Ausschmückung vorzuweisen haben, tragen Gegenstände, Peitschen oder Nagelstöcke zur Schau. Einige führen eine Vorrichtung vor, die sie des eigenen Zugangs zu ihren intimen Körperteilen beraubt. Andere haben Markierungen auf der Haut. Dennoch treten sie mit derselben Überzeugung auf wie die vorhergegangenen. Ich halte mir die Ohren zu, um nicht zu hören, was sie sagen, aber ich komme nicht umhin, die Scheußlichkeit der Ekstase zu sehen, die sich Momente lang auf ihren Gesichtern abzeichnet. Meine geballten Fäuste recken sich an dieser Stelle der Parade, denn ich sehe, wie sich ein Feind auf allen vieren einer verdammten Seele nähert, und ich gehe mit dem Ruf dazwischen:

(Achtung, der fährt dir gleich in die Parade.)

Ein glücklicher Einfall, denn mit dem Schlagstock, den er gerade in den Hintern der verdammten Seele stecken wollte, fällt er nun mit voller Wucht über mich her ...

DIE VORHÖLLE

Manastabal, meine Führerin, sagt:

(Auch wenn du aus der Hölle heraus bist, Wittig, hast du deshalb noch lange nicht das Paradies erreicht, weit gefehlt. Denn dies hier ist der Saum, das heißt, ein Zwischen-Raum, der ebenso der Hölle wie dem Paradies angehört. So schön es ist, daß dieser Raum, auch wenn er noch so begrenzt ist, existiert, so groß ist auch der Andrang, um hineinzuge-langen, und in dieser Gegend herrscht Hunger. Die, die hier leben, sind folglich keine Engel, sondern Freigekaufte, die um den Preis ihrer Freiheit fasten. Dies macht sich entsprechend an ihrer Stimmung bemerkbar, und es kommt vor, daß sie sich in ihrer Verzweiflung und Ohnmacht gegenseitig töten. Nichtsdestotrotz ist ihre Kühnheit groß und groß ihr Durchhaltevermögen, da sie keine andere Wahl haben, als zu leben wie Banditinnen.)

Ich unterbreche sie:
(Manastabal, meine Führerin, sag nicht mehr. Ich bin es, die ihr Lob anstimmen und sagen will, daß ihnen angesichts der Schönheit ihrer Gesten und ihrer Körper und obendrein ihrer Kraft nichts fehlt, um Engel im Paradies zu sein, wenn es kommt. Ach Manastabal, meine Führerin, du weißt ja, es finden sich alle Arten darunter und noch dazu die großartigsten. Die, die ihren Kopf kahlgeschoren tragen, in die Stirn graviert die Art von Drohung, die sie verkörpern. Die, die mit in schwarzes Leder gegürteten Schultern voranschreiten und in deren Ärmeln Messer stecken. Die mit den Nieten auf ihrer Kleidung und den gewetzten Klingen vorn auf ihren Stiefeln. Die Maffiosi in ihren dunklen Anzügen, den Revolver am Gurt.)

Aber ich verzichte auf die weiteren, denn Manastabal, meine Führerin, teilt meine Begeisterung nicht. Endlich sagt sie: (Du redest von Gesten, Kleidung, Auftreten. Du feierst die anrüchige Schönheit von Banditinnen, und du bist stolz darauf, zu ihrer begleitung zu gehören, nun gut. Wenn du über diesen äußeren Formen, ihrer Vielfalt und ihrem Glanz nur nicht vergißt, was sie notwendig gemacht hat: die Grausamkeit der Welt, die zum Verbrechen zwingt. Eine jede bewaffnet ihre Geliebten
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