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Sich selbst lieben

Verfasst von: Stendhal, Renate [weitere]
in: EMMA
1986 , Heft: 3 , 40-42 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1986-3-a
Formatangabe: Interview
Link: Volltext
Verfasst von: Stendhal, Renate; Wittig, Monique info
In: EMMA
Jahr: 1986
Heft: 3
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Emma: Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Wittig: Das ist immer eine schwierige Frage. Ich habe mich mit elf Jahren in ein Mädchen meines Alters verliebt, und zu meinen diversen Strategien, ihr zu gefallen, gehörte eben auch das Schreiben. Es waren damals Gedichte. Weil sich das Gedichteschreiben für mich als am wirksamsten erwies, zu gefallen, zu verführen. Ich glaube, dasselbe Prinzip ist auch heute noch für mich gültig: mein wirksamsten Mittel der Verführung ist das Schreiben.

Emma: Welche Schriftsteller/innen haben dich beeinflußt?

Wittig: Da wäre eine lange Liste fällig. Meine Lieblingsdichter waren keine Frauen, als ich anfing zu schreiben, sondern: Baudelaire, Mallarmé, Nerval, Verlaine, Lautréamont, Rimbaud... Es finden sich übrigens noch Spuren davon in "Opoponax", denn das letzte Kapitel ist um Baudelaires Gedicht "Invitation au Voyage" gebaut, das für mich immer ein lesbisches Gedicht gewesen ist. Dann kamen die Romanschriftsteller/innen. Unter denen, die meine Einstellung zum Schreiben verändert haben, waren die Autor/inn/en des "Nouveau Roman", allen voran Nathalie Sarraute. Aber auch Alain Robbe-Grillet, Claude Simon, Robert Paget, Samuel Beckett und noch einige andere. Gleichzeitig die amerikanischen Schriftsteller/innen, vor allem Getrude Stein und Faulkner. Djuna Barnes kann ich nicht dazurechnen, die habe ich leider erst sehr viel später entdeckt.

Emma: Du hast keine Gedichte veröffentlicht, aber deine Prosa liest sich, als würdest du sie wie Gedichte arbeiten.

Wittig: Das stimmt. Ich mache keinen Unterschied zwischen Prosa und Poesie. Ich stehe damit nicht allein in Frankreich. Ich habe die Erklärungen von Nathalie Sarraute hierzu genau gelesen. Sie sagt, sie sei sich in diesem Punkt mit Mallarmé einig, der auch keinen Unterschied zwischen Prosa und Poesie gemacht hat. Daher finde ich die Lektüre von dem, was Poesie genannt wird, höchst problematisch, jedenfalls von moderner Poesie.Mallarmé sprach diesbezüglich von der "essentiellen", der gearbeiteten Sprache im Unterschied zur Alltagssprache. Ich stelle mir die Frage des Genres nicht, wenn ich schreibe, außer in "Virgile, non", wo ich absichtlich eine Genremischung vorgenommen habe. Da ich alles in Fragmenten schreibe und anschließend eine Montage davon mache, könnte in der Tat jedes einzelne Fragment als Gedicht betrachtet werden - oder als Gesang oder als das, was Baudelaire bereits als ,,Prosagedicht" bezeichnet hat.

Emma: Die "essentielle" Sprache hat auch eine politische Bedeutung für dich...

Wittig: Sprache ist für alle Schriftsteller/innen von Bedeutung. Sie ist ihr Arbeitsmittel, so wie Maler/innen Farben und Leinwände benutzen oder Bildhauer/innen Ton. Aber von dieser Bedeutung der Sprache als Mittel der Kunst einmal abgesehen, hat sie natürlich auch eine politische Bedeutung. Ohne Sprache gäbe es keine gesellschaftliche Übereinkunft. Sprache ist vielleicht die erste gesellschaftliche Übereinkunft überhaupt. Die einzige.

Emma: Was hältst du vom ,,weiblichen Schreiben"?

Wittig: Wir sollten, meine ich, vorerst auf keinen Fall von "weiblichem Schreiben" sprechen. Was meine Verwendung der Sprache betrifft, so ist das Thema, oder besser der Anlaß oder das Material von jedem meiner Bücher die Arbeit an einem Pronomen. In ,,Opoponax" ist es das Pronomen "on" (Anm. d. Redaktion: das im Französischen geschlechtsneutrale Wort für man/frau), in den "Guérillères" ("Die Verschwörung der Balkis") das "elles" (Anm. d. Redaktion: die weibliche Mehrzahl von "sie" - die im Französischen geschlechtsspezifisch ist) und in "Le Corps Lesbien" ("Aus deinen zehntausend Augen Sappho") und "j/e" - "i/ch". I/ch ist das Merkmal dieser zerreißenden Erfahrung, die m/ein Schreiben ist, das Merkmal dieses Gespaltenseins, das beim Schreiben durch den Gebrauch einer Sprache entsteht, die m/ich nicht als Subjekt setzt. I/ch stelle die ideologische und historische Frage der weiblichen Subjekte... Wenn i/ch m/eine spezifische Situation als Subjekt der Sprache bedenke, ist es m/ir körperlich unmöglich, ich zu schreiben; i/ch habe keine Lust dazu. Erst in ,,Brouillon pour un Dictionnaire des Amantes" (,,Lesbische Völker - Ein Wörterbuch") und in ,,Virgile, non" findet sich davon nichts mehr. Diese Arbeit an den Pronomen hatte nicht zum Ziel, eine Besonderheit des weiblichen Geschlechts herzustellen, sondern - im Gegenteil! - über die Geschlechter hinauszugehen, sie hinter uns zu lassen. Das nicht geschlechtsbestimmte Pronomen ,,on" war das Thema und das Subjekt von"Opoponax" - und es war obendrein das "Sesam öffne dich" einer lesbischen Welt. Und "elles" war nicht der Versuch, die Welt zu verweiblichen (wie behauptet wurde und wie einige Übersetzungen - ich kenne die deutsche nicht - glauben machen wollten). Es war im Gegenteil der Versuch, "elles" universal zu machen: die weibliche Mehrzahl von "sie" ebenbürtig und fähig zu machen, sich dem männlichen "sie" entgegenzustellen. Also uns die Allgemeingültigkeit, die Unversalität wieder anzueignen.

Emma: Meret Oppenheim hat einmal gesagt: der Geist hat kein Geschlecht.

Wittig: Ich weiß nicht, ob Meret Oppenheim das genauso sagt. Aber ich würde sagen, die Arbeit hat kein Geschlecht. Und ich erinnere mich außerdem an Virginia Woolfs Ausspruch, jede Schriftstellerin sollte erst einmal dem häuslichen Engel den Hals umdrehen, bevor sie überhaupt anfängt zu schreiben. Allerdings: die Arbeit aller Schreibenden, ob Mann oder Frau, schwarz, gelb oder homosexuell, besteht darin, vom Besonderen auszugehen, um im Allgemeingültigen anzulangen. Egal, welches ihre/seine formalen Ambitionen sind. Und so ist es ein Problem, das jede/jeder hat - jedes Individuum, das schreibt. Schreiben ist Arbeit. Es bedeutet, die Sprache zu nehmen, wie sie ist und täglich gebraucht wird, und wie sie im Wörterbuch steht, und etwas anderes daraus zu machen - ein Produkt. Es wäre übrigens dieselbe Frage an eine Person, die Computerspezialist/in ist: Verändert sich dadurch, daß ein Mann oder aber eine Frau die Arbeit tut, die Arbeit selbst? Die Frage ist sinnlos.

Emma: Was in deinen Büchern auffällt, ist die ungeheure Würde der weiblichen "Sies", wie sie sich selbst und "ihrergleichen" lieben - und gleichzeitig der Mut, mit dem sie die ganze Hölle der Erniedrigung sehen, die sich "die Lage der Frau" nennt.

Wittig: "Sich selbst und ihrergleichen lieben"... "Gleich" kann viele Bedeutungen haben, aber in dem Fall, der uns beschäftigt, geht es wohl um "gleich" im Sinne Platos - im Gegensatz zu dem "anderen". Also wieder um die lesbische Liebe. Frau kann ihrergleichen nur lieben, wenn sie sich selbst liebt. Und das ist, glaube ich, die Quelle dessen, was du Würde nennst. Es scheint mir schwierig, zu schreiben, ein Thema, ein Subjekt zum Leben zu erwecken, wenn du kein Bewußtsein deiner selbst hast und dich nicht selbst zum Leben erwecken kannst, wenn du dich selbst nicht liebst. Du kannst nur verführen, was du gern hast - im Gegensatz zur heterosexuellen Welt, wo "man" verführt, um zu dominieren. Hier heißt verführen: lieben. Und die "Hölle der Erniedrigung" ist, glaube ich - es gibt kein französisches Wort dafür - die Unerträglichkeit zu sehen, wie unterdrückt, herabgesetzt, ausgebeutet, verstümmelt, getötet wird, was wir lieben: uns selbst und unsergleichen. Wie sollte das zu ertragen sein?!

Emma: Die deutsche Schriftstellerin Christa Reinig erzählt in einer Geschichte die Eliminierung aller Männer durch einen Virus. Ist das dein Ziel: die Vernichtung der Männer?

Wittig: Ich habe schon so viel von Christa Reinig gehört, daß es mich rasend macht, kein Deutsch zu können und sie nicht lesen zu können! Die Geschichte von der Eliminierung der Männer steht eigentlich im Zentrum all dessen, was ich geschrieben habe. In "Opoponax" kommen nur wenige Männer vor, weil ich versucht habe, ein Subjekt zu schaffen, das soziologisch eine Frau, aber universell und lesbisch geprägt ist. In den "Guérillières" ist dann die Rede von einem Krieg, in dem die weiblichen ,,Sies" die Oberhand behalten und es keine männlichen "Sies" mehr gibt - wo "elles" also weltumfassend wird. In "Le Corps Lesbien" kommt kein einziges männliches "Sie" mehr vor. Und in dem "Wörterbuch" ("Lesbische Völker"), das ich zusammen mit Sande Zeig geschrieben habe, vergnügten wir uns damit, ein "wegzauberndes Pulver" zu erfinden, das das schmerzlose Verschwinden der Feinde bewirkt.

Emma: Was du in "Virgile, non" als Dantesche Hölle beschreibst - ist das Hetero-Welt?

Wittig: Für mich ist die heterosexuelle Welt eine Zwangsübereinkunft. Eine gesellschaftliche Übereinkunft, die die Menschen dazu zwingt, sich nach Geschlechtskategorien zu paaren. Unsere nichtheterosexuelle Art, die Welt zu sehen, ihren Horror zu sehen, ist nur selten beschrieben worden, weder in der Literatur noch sonst irgendwo. Für Menschen, die nicht heterosexuell sind, ist alles, jeder Aspekt, jedes Element der Heterosexualität, die eine Praxis der Unterdrückung ist, die Hölle. Vielleicht nicht Dantes Hölle, aber unsere. Die Vorhölle ist - wie übrigens alle Orte in "Virgile, non", Hölle und Paradies zugleich. Ein Ort, der nirgends ist. Überall und nirgends. Das heißt, sie ist, wo wir selbst sind. Die Vorhölle als Zwischenraum ist ein Ort des Hungers und der Askese. Denn wer Lesbe wird, hat nichts, verliert alles, verliert jeglichen Vorteil, den ein Zuhälter - und in diesem Fall ist ein Ehemann gleich einem Zuhälter - durch seinen "Schutz" bieten kann. Wenn Frauen lesbisch werden, sind sie wie entlaufene Sklaven. Sie fliehen, sie sind die Überläufer ihrer sozialen Klasse, und sie gehen in die "Vorhölle", das heißt nirgendwohin. Umso mehr nirgendwohin, als es da keinen Mississippi zu überqueren gibt und auch keine freien Städte wie für die Leibeigenen im Mittelalter, wo sie nach genügend langem Aufenthalt frei blieben.

Emma: In "Virgile, non" heißt deine Heldin "Ich, Wittig".

Wittig: Da Wittig lesbische Bücher veröffentlicht hat, da Wittig gleich Lesbianismus ist, ist das "ich" der Erzählerin Wittig ein lesbisches Ich. Es ist die lesbische Sehweise, die genutzt werden kann, um in die Welt einzudringen und sie letztlich zu verwandeln. Das bedeutet, daß jede Leserin/jeder Leser durch dieses Ich in "Virgile, non" hindurch muß. Um selbst den Horror zu begreifen.
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