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Die Begegnung

in: EMMA
1997 , Heft: 5 , 54-63 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1997-5-a
Formatangabe: Interview; Dossier
Link: Volltext
Verfasst von: Jelinek, Elfriede info ; Streeruwitz, Marlene info
In: EMMA
Jahr: 1997
Heft: 5
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Elfriede Jelinek gilt heute als die bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin und ist seit über 25 Jahren eine öffentliche Figur. Marlene Streeruwitz ist mit 46 zwar nur vier Jahre jünger als Jelinek, trat aber als Autorin erst 20 Jahre später an die Öffentlichkeit. Beide sind Wienerinnen, beide schreiben Theaterstücke, Romane und Essays, beide sind bewußte Frauen. Doch sie kannten sich nicht. Bis sich im April 1996, anläßlich der Verleihung der TV-Plakette 'Romy', Thomas Gottschalk bemüßigt fühlte, Elfriede Jelinek anzupöbeln ("Ich will Frau Jelinek nicht hindern, eine gewisse Zeit in sich zu gehen. Wenn sie wieder rauskommt, gefällt's ihr bestimmt überall besser."). Zwei Tage später antwortete Marlene Streeruwitz darauf in der Wiener Tageszeitung 'Standard' ("Öffentlicher Pranger"). Eine Freundschaft war geschlossen. Eine Seilschaft? -Jelinek und Streeruwitz führen für Emma ihr erstes öffentliches Gespräch. Marlene Streeruwitz: Mein neuer Roman heißt ja 'Lisa's Liebe' - aber erst jetzt habe ich erfahren, daß deine erste Veröffentlichung 'Lisas Schatten' heißt. Und das war 1966. Elfriede Jelinek: Das war ein kleines Lyrik-Bändchen. Lyrik von Frauen wurde damals fast überhaupt nicht rezipiert, bis auf die Bachmann. Streeruwitz: 1966, da wußte ich noch nichts von dir. Da saß ich im Strandbad Baden und war schon stolz, dort als einzige die 'Zeit' zu lesen. Du führst seit damals ein Leben in der Öffentlichkeit. Aber im Gegensatz zur Bachmann hast du immer Widerspruch ausgelöst. Jelinek: Ich war bei den Männern nie so beliebt wie die Bachmann. Streeruwitz: Die ja auch hauptsächlich als Foto existierte. Jelinek: Mit Nerzstola, Abendkleid... Streeruwitz: ...und gefärbten Haaren... Jelinek: ...und Knautschlack... Streeruwitz: Mit ungeheurer Anpassung. Die Frau, die weiß, was man trägt. Jelinek: Aber die aus kleinen, provinziellen Verhältnissen kommt und die Regeln besonders gut studieren muß.

Streeruwitz: Die Zerstörung fand aber dann auch öffentlich statt und löste große Häme aus. Der Hohn galt allen Frauen. Was an Männern als Gewinn gesehen wird, wenn sie älter werden und gezeichnet aussehen, wird den Frauen als Zerstörung angerechnet. Aber dann bist ja du gekommen und warst einfach schön, und zwar auf alle Arten, die möglich sind.

Jelinek: Ich bin ja auch nicht für jeden schön. Ich mache mich auch für mich selbst schön, obwohl das nicht sein darf. Eine Frau soll nur für andere schön sein. Natürlich ist es auch so, daß ich mit meiner Art, mich zu schminken und zu kleiden, versuche auszugleichen, daß ich die Frauenrolle nicht rechtzeitig und nicht wirklich gut erlernt habe. Genau das habe ich übrigens in meinem Gespräch mit Alice vor Jahren gemeint, als ich sagte: "Ich bitte um Gnade". Nach diesem Emma-Interview habenübrigens einige Frauen aus der Frauenbewegung über Jahre mit mir gebrochen. Streeruwitz: Du hast aber nie den Anspruch aufgegeben, auch im ganz konventionellen Sinn attraktiv zu sein. Das gibt es ja auch, daß kreative Frauen sich ganz aus diesem Spiel zurückziehen. Andere verbergen sich auch hinter Stilisierungen. Friederike Mayröcker zum Beispiel. Jelinek: Sie war aber sehr schick. Streeruwitz: Ja. Aber sie ist immer gleich geblieben mit ihren Auftritten als Existentialistin. Während du dir die Freiheit herausgenommen hast, dich immer wieder zu verändern. Das löst Aggressionen aus. Jelinek: Ich verkleide mich eben. Genau das klebt an mir wie das Pech bei der Pechmarie. Streeruwitz: Es ist doch bezeichnend, daß wir schon wieder über die Rezeption als weibliche Erscheinung reden müssen.

Jelinek: Dabei geht es um die Machtfrage. Die Männer haben eben immer noch die Definitionsmacht. Streeruwitz: Und am Ende dieses Jahrhunderts wird das richtige Frau-Sein nicht einmal mehr mit Mutterschaft gleichgesetzt, sondern nur noch mit Silikonbusen und Model-Körper. Jelinek: Dazu kommt, daß die Ikone der schönen Frau von der Ikone des schönen Mannes abgelöst wird. Nachdem man die Frau jahrhundertelang auf ihre biologische Funktion fixiert hat, kann man sie jetzt ganz abschaffen.

Streeruwitz: In Japan wird eifrig geforscht, wie man die Schwangerschaft durch Maschinen erledigen kann. Wenn die Frauen jetzt nicht ganz rasch lernen, die Macht zu wollen und auch zu nehmen, ist es zu spät. Ich bereue es manchmal, daß ich meine Fähigkeiten nicht dazu genutzt habe, eine Karriere in der Wirtschaft zu machen und an Macht zu kommen. Die Frauen müssen ans Geld.

Jelinek: Wir finden Worte für das, was los ist, aber es bleibt folgenlos. Und dann werden wir noch verraten von denen, die uns eigentlich in eigener Sache unterstützen müßten, sei es von Girlies oder von Journalistinnen. Daß ein Teil der Frauen Komplizinnen sind, oft aus freien Stücken, ist auch demütigend. Streeruwitz: Oder sie spielen sich als unsere Komplizinnen auf und vereinnahmen uns. So vernebeln sie die Sicht auf das weibliche Individuum.

Jelinek: Eine Frau ist kein Einzelschicksal wie ein Mann. Eine Frau hat kein Ich. Eine Frau steht für alle Frauen. Als Vertreterin einer unterdrückten Kaste schreibt sie für alle anderen mit. Man gesteht uns nicht zu, Ich zu sagen. Und im Grunde können wir es auch nicht. Streeruwitz: Na, das möchte ich bestreiten!

Jelinek: Das ist sicher ein Dissenz zwischen uns. Ich sehe, daß du Ich sagst und Ich schreibst. Ich habe das Gefühl, daß ich nicht Ich sagen kann. Deswegen schreibe ich so exemplarisch, ich beschreibe keine Einzelschicksale. Ich schreibe ein weib- liches Es und habe tatsächlich das Gefühl, daß ich für alle Frauen mitschreibe.

Streeruwitz: Bei mir ist es dieser essentielle Zusammenstoß zwischen der Gesellschaft und der Mutterschaft. Ich war gezwungen, ein Ich herzustellen. Jelinek: Manchmal kommen Frauen im Kaffeehaus oder auf der Straße zu einem und sagen: Dein Buch war so wichtig für mich. Dann freut man sich.

Streeruwitz: Wir haben es ja auch richtig gemacht. Die Welt ist nicht richtig.

Jelinek: Ja. Nach unseren Maßstäben. Aber unsere Maßstäbe gelten nicht. Ich wäre froh, wenn ich das mit mehr Gleichmut ertragen könnte. Streeruwitz: Dazu brauchtest Du eine Dickhäutigkeit, die du dir bei deiner Arbeit nicht leisten kannst. Aber das ist das Problem von Intellekt und Kreativität und Frauenleben. Jelinek: Du hast aber doch nicht alles erlebt, was du in 'Verführungen' verarbeitet hast? Zum Beispiel wie diese Frau mit Gold angestrichen wird? Streeruwitz: Diese Episode gibt es tatsächlich. Wenn ich so etwas weiß, dann bin ich politisch verpflichtet, das zu beschreiben. Dafür gilt dann unsere Arbeit nichts, wenn sie als autobiographisch erkannt wird. Bei Frauen wird das abgewertet. Das konkrete Wissen einzubauen in das, was sie künstlerisch tun, ist für Frauen eine Gratwanderung. Bei Männern, die ja auch nichts anderes machen können, wird das zur Vergrößerung der Aura des Künstlers eingesetzt und mythologisiert. Dabei sehe ich, daß Frauen wahrer schreiben und daß sie viel seltener in die autobiographische Idylle fallen, als Männer. Es geht hier wieder um die prinzipielle Wertigkeit von Männerleben und Frauenleben. Jelinek: Genau darum ist es auch ausschließlich die Frauenforschung, die sich mit meiner Arbeit beschäftigt. Streeruwitz: Es sind ja auch vor allen die Frauen, die lesen. 81 Prozent der Literatur wird von Frauen gelesen. Jetzt müßten dadurch aber auch die Maßstäbe verändert werden. Jelinek: Ruth Klüger hat gesagt: Niemals würde ein Mann lesen, was eine Frau schreibt. Aber als sie selbst den Kleist-Preis vergab, der immer von einer Person an eine andere weitergegeben wird, da hat sie ihn nicht etwa einer Frau verliehen, sondern einem Mann. Mit der Begründung, die sexuelle Kühnheit seines Schreibens beeindrucke sie. Streeruwitz: Man hätte diesen Preis doch in den Reihen der Frauen halten können. Aber genau so eine Vorgangsweise würde uns als unfair ausgelegt - während die Männer es überhaupt nur so machen. Jelinek: Die großen Freundschaften der Bachmann, die jetzt kolportiert werden, sind alles Freundschaften mit Männern. Dabei hat sie in Wirklichkeit sehr viel Zeit mit Frauen verbracht. Aber man spricht nur von Henze, Celan, Frisch, diesen Männerkolossen. Als sie aufgehört hat, Lyrik zu schreiben und ihre Lebenskatastrophe im Todesarten'-Zyklus thematisiert hat, wurde sie von der Kritik fallengelassen (Reich-Ranicki war das). Da ist sie aus allen Wolken gefallen. Als Frau machst du dann auch noch die Erfahrung, daß Intellekt den erotischen Wert einer Frau schmälert. Das schmerzt. Streeruwitz: Ich habe zuerst geglaubt, daß ich blöder bin als die Burschen. Ich habe erst über Umwege begriffen, daß ich intelligenter bin. Und daß es deswegen nicht funktioniert. Ich dachte immer, Männer wissen es. und ich weiß es nicht. Zwischen zehn und zwanzig merkte ich langsam, daß ich es weiß, und sie nicht.

Jelinek: Ich habe mein Studium abgebrochen, weil ich mich als intellektuell ungenügend empfand. Das ist auch heute noch so. Aber ich habe das durch meine Musikalität ersetzt: Ich arbeite auch mit der Sprache wie mit musikalischem Material. Ich verwende beim Schreiben kompositorische Verfahren. Das habe ich ja gelernt. Streeruwitz: Dabei giltst du in der Öffentlichkeit als Intelligenzbestie. Jelinek: Dieses Bild wird aber nur dazu benutzt, mir Leid zuzufügen und mich zu entsexualisieren. Wenn man lesbisch wäre, wäre das sehr viel einfacher. Dann könnte man sich aus den ganzen Abhängigkeiten einfach ausklinken.

Streeruwitz: Meinst du? Was würde das für dich in der Öffentlichkeit bedeuten?

Jelinek: Es gibt doch viele berühmte Künstlerinnen, die lesbisch sind. Und die haben ein viel entspannteres Verhältnis zu Männern. Es ist ihnen ja auch egal. - Andererseits verschärft sich dadurch natürlich das Problem mit der Männerwelt. Die Botschaft ist ja eindeutig. Streeruwitz: Das Problem ist, daß es keinen Werk-Begriff gibt für das, was Frauen machen. Wir müssen doch mit jedem einzelnen Werk erneut den Beweis vorlegen, während Männern gegenüber die Kontinuität ihres Schaffens im Vordergrund steht und von Werk zu Werk Wirkung aufgebaut werden kann. Bleiben wir nicht in Erinnerung? Jelinek: Eine Frau darf kein Werk haben.

Streeruwitz: Und dann entsteht auch keins. Dieses ständige von Null anfangen müssen, sowohl als Person wie auch als Künstlerin, das ist hinderlich bei der Arbeit. Jelinek: Diese permanente Mißachtung unterhöhlt einen und laugt aus. Das führt zu einer gewissen Zombiehaftigkeit. Man hat zwar noch Dinge, die einem Spaß machen, aber innerlich ist man ermordet worden.

Streeruwitz: Würdest' das so hart sagen?

Jelinek: Ja, das würde ich so hart sagen. Die einzigen, die mich und meine Arbeit ernst nehmen, sind weibliche Dissertanten. Frauen, die in der Literaturwissenschaft über mich arbeiten. Man will ja nicht immer gelobt werden, aber man will wenigstens gesehen werden. Man arbeitet drei Jahre an einem Roman. Wenn es einem sogar mit einem 700-Seiten-Buch gelingt, verächtlich abgetan zu werden, dann fällt einem nichts mehr ein, was man noch tun kann.

Streeruwitz: Ich schreibe aus Wut gegen all die Ungerechtigkeiten an, die sich hinter solchen Behandlungsweisen ja nur maskieren. Jelinek: Dafür bin ich schon zu kaputt. Ich nehme das alles stumpf wie ein Tier zur Kenntnis, dem man den Schlachtschußapparat an den Schädel gesetzt hat. Ich schlage nicht mehr zurück.

Streeruwitz: Ich kann und will den Kampf nicht aufgeben. Ich habe meine zwei Töchter. Ich würde ja für sie mit aufgeben.

Jelinek: Das habe ich mir erspart. Dieses Frauenleben habe ich mir aus sicherer Distanz angeschaut. Aber einen gewissen Neid auf Frauen mit Kindern und eine Sehnsucht ist geblieben.

Streeruwitz: Nach Kindern? Jelinek: Nein, nach Normalität. Streeruwitz: Den habe ich auch. Ich hätte das alles gerne mit mehr Ruhe und Würde bewältigt. Jelinek: Es gibt kaum eine Frau in der Literaturgeschichte, die nicht auch an der Mutterschaft zerbrochen wäre. Sylvia Plath hat sich umgebracht. Barbara Frischmuth hat jahrelang zwischen fünf und sieben Uhr in der Früh geschrieben, bevor das Kind in die Schule mußte. Nur Christa Wolf hat offenbar einen besonders verständnisvollen Ehemann. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit kleinen Kindern überhaupt etwas anderes schaffen kann, geschweige denn eine künstlerische Arbeit.

Streeruwitz: Es geht schon. Meine Begabung ist, daß ich nicht verdrängen kann - also schreiben muß. Andere Frauen vergessen es. Das Unglück ist, daß sie es nicht weitererzählen.

Jelinek: Ich habe von meiner Mutter gelernt, daß man sich nicht auf einen Mann verlassen sollte. Sie war eine emanzipierte Karrierefrau und schon in einer leitenden Position, als andere Frauen diese Möglichkeit noch nicht hatten. Meine Mutter war für mich im Grunde ein Mann. Für mich hatte sie die Rolle eines asexuellen Neutrums vorgesehen. Aber ich hatte eine Barbiepuppe. Hier steht sie. Die erste, die damals überhaupt auf dem Markt war: 'Lili' hieß sie. Wir, meine zwei Tanten, die Modeschöpferinnen waren, und ich, haben an Lili Kleider drapiert.-> Steeruwitz: Waren das Schwestern der Mutter?

Jelinek: Nein, des Vaters. Das ist der jüdische Teil meiner Familie. Ich bin sozusagen zweigeteilt und komme aus zwei extrem unterschiedlichen Familien. Meine Mutter hat natür- lieh gewonnen. Meine Mutter würde auch gegen das Ungeheuer von Loch Ness gewinnen. Nur habe ich von ihr nicht gelernt, mich als junge Frau plötzlich auf dem Markt der Körper zu behaupten. Das war unter ihrer Würde. Die Sprache habe ich vom Vater, das ist die Vatersprache. Mein Vater kam aus einem multikulturellen Elternhaus wie die meisten Wiener Familien. Er sprach noch dieses jüdische Wienerisch, mit jiddischen und altösterreichischen Wörtern, die heute keiner mehr kennt. Auch meine Tanten sprachen so. Sie haben ständig 'Schmäh' geführt, das ist der jüdische Witz. Durch den Antisemitismus hat das Wort 'Chuzpe' eine negative Bedeutung bekommen. Aber eigentlich ist es ein fairer Sport, bei dem ein Kind mit Witz auch gegen einen Erwachsenen gewinnen kann. Ich wurde dazu von meinen Tanten sehr ermuntert und bekam Applaus, wenn ich einen guten Witz gemacht hatte. Meine Sprachkomik ist der Kulturschatz meines Vaters. Mein Vater ist verrückt geworden, als ich noch jung war und dann für mich als Person ausgefallen. Meine Mutter mußte beide Rollen übernehmen, auch die der väterlichen Instanz. Mir war damals nicht bewußt, daß ich auch für sie nicht nur das Kind, sondern der Mann war. Eine Psychiaterin hat mich über eine Stelle in der 'Klavierspielerin' aufgeklärt, wo ich schreibe, daß die Tochter den Stab vom Vater übernimmt. Streeruwitz: Das war dir beim Schreiben nicht bewußt? Jelinek: Nein. Und da sie für mich auch ein Mann war, haben meine Mutter und ich quasi in einer Männerbeziehung gelebt. Streeruwitz: In einer kinderreichen Familie verläuft das natürlich ganz anders. Ich hatte eine fröhliche Kindheit. Aber sechs Kinder waren für meine Mutter sicher eine sehr große Anstrengung, besonders die letzten beiden. Die Großmütter sind die einzigen, die mich als Sonderfall in der großen Kinderschar wahrgenommen haben. Beide Großmütter haben mich gerne mitgenommen, weil ich schon als sehr kleines Kind so ordentlich war und im Gegensatz zu meinen Brüdern nicht mehr in die Windeln geschissen habe. Die erste Fremdsprache, die ich kennengelernt habe, war die oststeirische Mundart der Mutter der Mutter. Meine Sprache habe ich also eher von meinen Großmüttern. Jelinek: Ich glaube nicht, daß ein Mann so schreiben würde wie du, Marlene.

Streeruwitz: Das ist ja auch mein Ziel. Es geht mir darum, für das, was bisher nicht gesagt werden konnte, einen Ausdruck zu finden. Jelinek: Das ist das Paria-Bewußtsein der Frauen: dieses Bewußtsein der endlosen Demütigung jeder Frau. Aber es leidet offenbar nicht jede Frau darunter. Manche Frauen sind Krisengewinnlerinnen und versuchen, das zu kapitalisieren. Sie verstehen schnell die Gesetze des Marktes und versuchen, davon zu profitieren - Parias eben. Streeruwitz: Sklavinnen. Jelinek: Andere spüren ständig den Stachel. Wir beide sind von unterschiedlicher Herkunft. Du aus der Provinz, wo man ganz anders beobachtet wird. Ich aus der Großstadt, wo man anonymer ist und besser untertauchen kann. Ich habe schon den Eindruck, daß man sexuell eine Monstrosität wird, wenn man das macht, was wir machen. Diese Verwöhnung, die berühmte Männer durch weibliche Groupies bekommen, die kriegen wir nicht. Streeruwitz: Wie Thomas Bernhard. Jelinek: Der ist das letzte Männergenie, das wir aus der Nähe erleben durften. Und dessen Homosexualität ja ein bestgehütetes Tabu ist. Streeruwitz: Es gibt da eine Szene, die ich miterlebt habe: Er liegt angeblich krank in einem Bauernhof. Die Bernhard-Jüngerinnen aus der Umgebung stellen ihm Essenskörbe vor die Tür. Jede räumt den Korb der Vorgängerin weg. Versteckt ihn um die Ecke und stellt ihren Korb hin, in der Hoffnung, der Meister werde ihren Korb erwählen. Dabei war er gar nicht im Haus. Er hat so etwas mitinszeniert. Hat die Frauen gegeneinander ausgespielt. Zu diesem Männerspiel gehört auch die lebende Witwe, die ihm seinen Sarg schon zu Lebzeiten auspolstert, ihm seine Kipferln bäckt und seinen Mythos hütet.

Jelinek: Es ist auch eine Kränkung für uns, daß Frauen sich diese Rolle antun. Daß sie Komplizinnen unserer - und damit der jeder Frau - Demüti- garten, sich begehrenswert zu machen, weil sie ja als begehrende Subjekte nicht zugelassen sind. Dazu müssen sie die Mechanismen des Markts genau studieren: Wann sich rar machen, wann etwas sagen. Wann nicht. Ich habe das nicht gelernt. Obwohl ich mich scheinbar durchgesetzt habe, war ich oft wehrlos. Und in der Rezeption meiner Arbeit muß ich den himmelweiten Unterschied zur Rezeption der Arbeit eines Mannes hinnehmen. Die Rezeption meines letzten Romans ist so katastrophal und so verachtungsvoll. So von oben herab. In dieser Weise wäre so ein Buch von einem Mann nicht behandelt worden. Streeruwitz: Ich glaube, es ist im Grund unmöglich, als Einzelperson mit alldem fertig zu werden. Der Wahnsinn ist immer ganz nah. Jelinek: Viele haben es auch nicht überlebt.

Streeruwitz: Die klare Selbstsicht wird einer Frau unmöglich gemacht. Jelinek: Du hast ja Glück im Unglück gehabt mit deinem verzögerten Auftritt. Und daß du das Leben so kennengelernt hast, das hat dir ja genutzt. In derselben Zeit bin ich in einer geschützten Enklave zur Künstlerin erzogen worden. Dadurch hatte ich es am Anfang als attraktive junge Frau sicher leichter. Aber wenn es ernst wird... Streeruwitz: Man kann als Frau nichts richtig machen. Jelinek: Ständig wird gesagt, der Feminismus sei überflüssig, weil die Frauen ja schon alles erreicht hätten... Streeruwitz: ...haha... Jelinek: ...dabei braucht man sich nur anzuschauen, wieviel Prozent des Vermögens der Welt in weiblicher Hand ist. Nämlich genau l Prozent. Das ist ein Witz. Und dann muß man sich auch noch dafür rechtfertigen, daß man eine Emanze ist. Als ob man überhaupt etwas anderes sein könnte!

Streeruwitz: Unsere Rechte gelten als abgehakt und damit erfüllt. Und mit diesem Widerspruch wird die Frauensache ausgebremst. Jelinek: Vielleicht sollte man, statt zu schreiben, eine berühmte Anwältin sein. Aber was wäre dann anders? Hillary Clinton ist eine brillante Frau, sehr viel brillanter als ihr Mann. Sie hatte unglaubliche Pläne, das Sozialsystem und das Gesundheitssystem zu reformieren. Und wo steht diese Frau jetzt mit all ihrer Kraft?!

Streeruwitz: Sie steht im apricot-farbenen Kostüm mit Haarreif auf der Bühne und sagt: Mein Mann sagt dies, mein Mann sagt das. Während er wegen sexueller Belästigung angezeigt ist.

Jelinek: Was ich an deinem Schreiben so toll finde ist, daß du, auf deutsch gesagt, weißt, wo's lang geht. Du kennst das Leben. Das habe ich bei einem Mann nur selten erlebt. Ein Mann kann dieses Leben der Frau gar nicht kennen. Die Frau leistet die Aufzucht der Kinder, wie die Sklavin im alten Rom. Sie lernt die Liebesarbeit. Sie weiß, was sie kochen muß. Der Mann nimmt es an, und er weiß nichts. Die Frau ist wie ein Extremkletterer, der weiß, wo er die Hände und Füße hinsetzt. Deine Texte sind literarisch erarbeitet, aber dahinter steckt eine so präzise Kenntnis des Lebens, die ich nicht habe. Ich schreibe, weil ich weiß, daß es so sein muß. Du schreibst, weil du weißt, daß es so ist.

Streeruwitz: Dieses exemplarische Schreiben von dir war ja auch das Transportmittel für das Politische, das du in die Literatur gebracht hast. Da habe ich es leichter nach dir, weil es dich schon gibt und du eine Bresche für die politisierte Literatur von Frauen geschlagen hast. Du hast einen Weg geschlagen, und ich profitiere davon.

Jelinek: Das würde mich freuen, wenn es so wäre. Streeruwitz: Du hast dich eben nie angepaßt. Jelinek: Nein. Und das könnte zu den guten Dingen gehören, die meine Mutter mir weitergegeben hat. In der Nazi-Zeit hätte mein Vater nicht ohne meine Mutterüberleben können. Sie war mit einem Juden verheiratet, ist x-mal denunziert worden, die Scheidung wurde ihr nahegelegt. Die große Lebensleistung meiner Mutter ist, daß sie meinen Vater wie ein Auto da durchchauffiert hat. Das war heroisch. Mit mir allerdings hätte es auch anders ausgehen können. Ich bin die mumifizierte Tochter einer dämonisch starken Mutter. Ich hätte jetzt auch im Steinhof (Psychiatrie) sitzen können, wie mein Vater. Es ist halt zufällig gut gegangen. Ich kann mich selbst ernähren, was für eine Frau sehr wichtig ist. Ich bin auf niemanden angewiesen. Streeruwitz: Ich auch nicht. Wie gemütlich. Jelinek: Ständig wird gesagt, der Feminismus wäre überflüssig, weil die Frauen ja schon alles erreicht hätten. Ich bin absolut pessimistisch.

Streeruwitz: Das bin ich nicht. Aber ich bin auch nicht optimistisch. Aber es gibt eine leicht verbesserte Kommunikation von Frauen mit Frauen. Das halte ich für den einzigen wirklichen Fortschritt. Dieser tödliche Bruch zwischen Mutter- und Tochtergeneration ist ein wenig aufgehoben. Wir können Dinge beschreiben, die eine 20jährige nicht weiß.

Jelinek: Aber sie weiß, daß sie nicht so sein will wie wir. Streeruwitz: So wie wir brauchen sie auch nicht zu sein. Wir sind ja immer noch Pionierinnen. Wir mußten uns das alles zusammenbasteln, und deshalb brauchen wir auch so lang dafür.

Jelinek: Frauen beginnen ja endlich, Seilschaften zu bilden, was die Männer immer schon können: sich gegenseitig was zuschanzen. Du bist mir ja auch schon beigesprungen, als du mich noch gar nicht gekannt hast. Streeruwitz: Glaubst du, wir kriegen ein Verhältnis miteinander, hm?

Jelinek: Mmmm, das kann uns schon passieren... R» (Gelächter). Das war jetzt für die 'Kronenzeitung'. EM
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