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"So viel plumpe Anmaßung verwirrt!"

in: EMMA
1983 , Heft: 9 , 14-15 S.
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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1983-9-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Beauvoir, Simone de info
In: EMMA
Jahr: 1983
Heft: 9
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Die Debatte um das geplante Anti-Sexismus-Gesetz in Frankreich, daß die herabwürdigende Darstellung von Frauen in Text und Bild strafbar machen soll, tobt weiter. Mit ungeschliffenem Florett. Die Presse titelte von rechts bis links mit dem Thema und hört nicht auf, darüber zu palavern. Meinungsfreiheit und Lust seien bedroht, Prüderie und Hysterie schüttle die Frauenministerin Yvette Roudy und die sie unterstützenden Feministinnen (die die Forderung überhaupt erst an die Öffentlichkeit brachten). In der renommierten Tageszeitung "Le Monde" mischte sich jetzt Simone de Beauvoir höchstpersönlich in die Debatte. Für die BRD steht diese Auseinandersetzung noch bevor (Worauf wartet die neue Regierung eigentlich, um endlich zu dem Anfang 82 vorgelegten Vorschlägen für ein Anti-Diskriminierungsgesetz Stellung zu nehmen?!). Wir können sicher sein, daß hier noch grober geklotzt werden wird, vor allem, da sich bei uns, im Gegensatz zu Frankreich, auch die nicht- pornografische Presse mit frauenerniedrigenden Darstellungen verkauft. Emmas Fehde mit dem stern hat da ja einen Vorgeschmack gegeben... Hier, leicht gekürzt, Beauvoirs Antwort auf die "seriöse" französische Presse.

Wenn die durch das Antisexismus-Gesetz ausgelöste Parade der Frauenfeindlichkeit nicht so bestürzend wäre, könnte man sich totlachen. Diese Herren - und Damen -, die den Feministinnen Mangel an Humor vorwerfen, entpuppen sich selbst als bedauerlich humorlos. Mit welchem Pomp sie sich auf ihr Verantwortungsgefühl und ihr Berufsethos berufen - nur um das Recht zu fordern, solche Darstellungen zu plakatieren, die ihnen ihrer Meinung nach am meisten einbringen. Sie schrecken dabei nicht davor zurück, sich auf die höchsten Kultur-Werte zu berufen: Nach ihrer Meinung überhäuft die Werbung uns mit Schönheit. Wer ihre Kreationen nicht mit den berühmtesten Gemälden im Louvre und ihre ,Botschaften' nicht mit den großen Werken der französischen Literatur gleichsetzt, entbehrt jeglichen Sinn für Ästhetik. . .
Soviel plumpe Anmaßung verwirrt! Vor allem aber sind sie angeblich vom Respekt vor der unantastbaren Freiheit inspiriert. Welche Freiheit? Als vor 100 Jahren das erste Mädchen-Lyceum in Rouen die Tore öffnete, fanden sich Männer, die erklärten, dies sei ein Angriff auf die Freiheit.

Freiheit! Welche Dummheiten werden in deinem Namen verbreitet! Man nimmt sich zum Beispiel das Recht, Yvette Roudy mit einem Ayatollah zu vergleichen - mir ist nichts davon bekannt, daß sie die Französinnen aufgefordert hätte, den Tschador zu tragen oder sich beschneiden zu lassen. Und welchen Zusammenhang gibt es eigentlich zwischen der Königin Victoria (auch damit wurde sie verglichen) und einer Ministerin, die das Gesetz zur Kostenübernahme von Abtreibungen durch die Krankenkasse durchbrachte? Ich finde diese blindwütigen Vergleiche weder komisch noch geistreich.

La Croix (eine liberale katholische Zeitschrift, Anm. d. Red.) beschuldigt Yvette Roudy, die Liebe und das Vergnügen abschaffen zu wollen. Madame Giroud (bekannte Journalistin und Ex-Staatssekretärin für Frauenfragen unter Giscard) sieht das Recht auf Fantasmen bedroht. Heißt das, die Menschen könnten ohne Werbung keine erotischen Phantasien mehr entwickeln? Ein ironisches Augenzwinkern oder ein kumpelhafter Rippenstoß genügt allerdings nicht als Antwort auf diese Attacken. Denn diese kleine Minderheit von Profitgeiern - wutentbrannt wie Hunde, denen man ihre Knochen wegzuschnappen droht - sind eine ernstzunehmende Gefahr, da ihre Kampagne gezielt gesteuert ist. Sie werden von zahlreichen Journalisten unterstützt, weil die Zeitungen zum großen Teil von der Werbung leben.

Zunächst zum Durcheinander. Das Gesetz betrifft weder Bücher noch Filme, noch Gemälde, noch irgendeine künstlerische Schöpfung; es greift auch nicht Zeitschriften und Magazine an. Es geht nur um die Werbung, da nur sie, anstatt die freie Wahl zu lassen, sich dem Blick aufzwingt. Niemand regt sich darüber auf, daß man Exhibitionisten die Freiheit beschneidet: bestimmte Zurschaustellungen der Werbung sind nicht weniger abstoßend. Es scheint mir einleuchtend, die Passanten vor ihnen zu schützen. Dieser Schutz ist übrigens höchst zurückhaltend: man redet von Zensur, aber um eine solche geht es nicht, das Gesetz gesteht lediglich den Frauen, die sich angegriffen fühlen, eine Möglichkeit des Prostestes zu, eine Gegenkraft im demokratischen Prozeß. Im Endeffekt sind es die Richter, die über die Berechtigung des Protestes entscheiden werden.

Warum die Frauen? Weil sie es sind, um die es geht. Sie sind es, die von der Werbung in erniedrigende Bilder gezwungen werden. Niemals ein Mann. Außer früher die Schwarzen. Aber das Antirassismus-Gesetz hat die ,Banania-y-a bon' (Kakao-Reklame) meiner Kindheit unmöglich gemacht. Man sagt uns, daß die Gesetze nichts vermögen, daß der Rassismus unverändert besteht. Es gibt 1000 Gründe dafür, daß er weiterexistiert. Aber wenigstens passiert er nicht mehr ganz so ungestraft. Bestimmte rassistische Plakate sind von unseren Mauern verschwunden. Nach einigen Gerichtsprozessen wagen die Kneipiers es nicht mehr, ,bicots' (Bezeichnung für Araber) oder ,Une _mort tres douce ,nègres' zu servieren. Ein Gesetz ändert nicht von heute auf morgen die Mentalitäten. Gut. Aber es beeinflußt sie. Es ist nicht unnütz, auf die Bilder einzuwirken. Auch die Kinder haben Augen, Bilder prägen sich ein. Es zu verhindern, daß ihnen die Verachtung der Frau beigebracht wird, wäre schon ein Sieg.

Da für diese Herren ein Frauenkörper als Werbeträger nur in erniedrigender Darstellung denkbar ist, würde die Ablehnung dieser Erniedrigung die Ablehnung jedes Frauenbildes bedeuten und damit vermutlich jeglichen Bildes überhaupt. Ist das nicht der aufgezwungene Puritanismus des Ostblocks? Der Archipel Gulag ist nicht weit. . . Diese absurden Einflüsterungen treffen auf offene Ohren bei den Regimegegnern, denn es darf nicht vergessen werden, daß diese Kampagne auch - und vielleicht hauptsächlich - eine politische ist. Diese Tatsache wird jedoch mehr oder weniger verschleiert.

Das was dramatisch ausgemalt wird, sind die ,Auswüchse' der durch das Roudy-Gesetz bestärkten Feministinnen. Die Journalisten wiederholen mit Getöse, daß man den "Frauen" vertrauen soll. Sind die Feministinnen also keine Frauen? Man begegnet ihnen mit den abgedroschensten Argumenten. Sie seien "mit ihrem Geschlecht geschlagen", verkündet M.J.-F. Fabry, berühmter Schöpfer der gefesselten Frau in Buffalo-Jeans (Werbeplakat, das eine gefesselte Frau in Buffalo-Jeans mit nacktem Oberkörper zeigt)."Das sind die Intellektuellen, die den Blick für die Realität verloren haben", diagnostiziert ein anderer. Ich kenne feministische Ärztinnen, Anwältinnen, Ingenieurinnen, Familienmütter: Ich glaube kaum, daß der Direktor einer Werbeagentur einen besseren Blick für die Realität hat, es sei denn, ,Realität' bedeutet für ihn Geld, für das er sicher den besseren Blick hat. Wir hoffen, daß die Aussicht auf einen Prozeß - wie beim Rassismus - eine abschreckende Wirkung hat!

Was in der Sache wirklich aufhorchen läßt, ist der wahre Grund einer derartigen Abwehrreaktion. Da, wo sie deutlich in die Enge getrieben wird, verzichten die Männer darauf, sich offen mit ihrer wirtschaftlichen Macht zu brüsten: gegen die Lohngleichheit, gegen die Aufhebung der sexuellen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt führen sie hinterlistigere Kämpfe. Aber sie bleiben zutiefst davon überzeugt, daß die Frau ein manipulierbares Objekt ist, und daß sie die Meister dieser Manipulation sind.

Man wird sie nicht so schnell ändern. Aber jeder Schritt, der ihrem Machtanspruch ein Hindernis entgegensetzt, sollte dankbar begrüßt werden, und zwar nicht nur von den Feministinnen, sondern von allen Frauen, zumindest von all denjenigen, die sich nicht länger an der Nase herumführen lassen wollen - auch wenn man uns die Nasenspitze vergoldet.
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