Artikel

Neue Frauen hat das Land

Verfasst von: Vaudeville, Jill
in: EMMA
1983 , Heft: 1 , 56-58 S.
Weitere Suche mit:
Personen:

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1983-1-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Vaudeville, Jill
In: EMMA
Jahr: 1983
Heft: 1
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Neue Frauen hat das Land

"Tolle Frauen hat das Land" singt sie bei der x-ten Zugabe, und das Publikum ist hingerissen. Die Frauen wissen es ohnehin und fühlen sich angesprochen und mögen die Sängerin da vorne. Und die Männer ahnen es allmählich und lernen in diesem Konzert dazu und mögen die Sängerin da vorne.

Kritisch

Ina Deter, 35 Jahre alt, Sängerin, Gitarristin, Texterin, ist in diesen Monaten mit ihrer Gruppe "on the road", auf Tournee. Sie hat sich verändert, aus der "Klampfenelse" ist eine Rockmusikerin mit rosa Fender-Gitarre geworden. Die Wandlung dieser Spätzünderin, die sich musikalisch eigentlich schon immer nur das Bestmögliche abverlangt hat, ist mitreißend. Denn Ina zeigt, daß Rock auch ein kritisches, ein poetisches Niveau und Zwischentöne verträgt. Vor einigen Jahren sah ich sie zum ersten Mal. Auf einem Frauenkongreß in Köln sang sie ihre Lieder über Gewalt, über Männerherrschaft, Abtreibung. Schöne Stimme, dachte ich, schöne Texte. Aber zu brav. Später sah ich reichlich verblüfft Ina zu irgendeinem Punk-Stück lostanzen, als war es ein Teil von ihr. Irgendwie widersprüchlich.

Genau davon lebt ihre Musik: sie hält Spannungen und Widersprüche aus, ohne zerrissen zu sein. Sie ist harmonisch, ohne zu glätten. Sie ist klar und hart und dann wieder für Überraschungen und Effekte gut. Kein Wunder eigentlich. Ina Deter ist stets eine Tüchtige, Kämpferische gewesen und hat sich nie etwas schenken lassen. Schon sehr früh war sie unangepaßt, "ausgeflippt" würden wir heute sagen.

Als 16jährige gründet sie eine reine Mädchen-Skiffle-Gruppe, die Lucky Girls (siehe auch Emma 2/1980). Obwohl damals - im Zeitalter der Backfische -von Feminismus, Frauenkultur und Frauenbands überhaupt nicht die Rede sein kann. Sie löst die Verlobung mit dem "Sohn aus gutem Hause", obwohl sie den Druck, kein Geld zu haben, seit der Kindheit kennt. Sie macht aus ihrer zweiten großen Liebe, der Kunst, einen Brotberuf und arbeitet in einer Werbeagentur. Als Designerin verdient sie viel Geld Und schmeißt dann alles wieder hin wegen der ersten großen Liebe, der Musik. Sie singt Lieder gegen den § 218 und gegen Sexismus und muß sich dann von Feministinnen auspfeifen lassen, weil sie mit ihrer Freude an kesser Kleidung und hohen Pumps bei der Latzhosenfraktion der Bewegung durchfällt. Heute darf frau schrill aussehen.

Widersprüchlich

Bis heute beobachtet und beschreibt sie die Stärken und Schwächen der Frauen, Liebeslust und -leid. Ist kritisch und ironisch im Umgang mit den "Beziehungskisten" und verneint niemals den Wunsch nach Nähe und Austausch. Sie kaspert gerne herum, wenn sie auf der Bühne von solchen Sehnsüchten spricht: "Früher sang ich immer ,zusammenleben und frei sein', heute sage ich eher .zusammenkleben und breit sein'".

Professionell

Auf der Bühne erlaubt sie sich alles, was im Alltag für Frauen schwierig und riskant ist: Offensivität, Ausflippen, pure Freude an sich selbst. Die Funken, die sie ins Publikum schickt, elektrisieren und wärmen. Kein Mensch sitzt mehr auf den Stühlen, alles tanzt, wippt, strahlt. Inas Gruppe bringt soliden, melodischen Rock ohne große Schnörkel und Experimente. Ihre Professionalität wird besonders im Arrangement deutlich, die Stücke sind hervorragend aufgebaut - in Zusammenarbeit mit Micki Meuser, der wiederum "Ideal" produziert. Manchmal pennt der Mensch am Mischpult, dann sind nur noch Ina plus Keyboards zu hören, und dann runzelt die zierliche Profi-Frau schon mal die Stirn. Sonst aber fühlt die Chefin sich ganz offensichtlich wohl mit ihrer Männerbande.

Ihre musikalische Kompetenz ist unumstritten. Knapp Einmeter-sechzig steht sie da - ganz femme und ganz Rockmusikerin und ganz Emanze. Wie mag die männliche Begleitband mit dieser Frau klarkommen? Wie mit den Texten, die die Männer nicht schonen ? Während ich auf Ina nach dem Konzert warte (es wird später so eine verrückte Nacht werden, wo sich aus dem Nichts eine Bande Musikerinnen und Musiker, Presseleute, Irrlichter, Nachtschwärmer und Lieblinge zusammenfindet und bis zum Morgen abhebt), während ich also herumlungere, plausche ich mit dem Bassisten. Ein hinreißend blondes Gift. Ihm macht das Touren mit Ina Spaß, allerdings vermißt er seine Liebste, erfahre ich. Und Inas Musik? "Ja klar, es ist Rock. Aber bei der Ina geht alles immer weiter, nichts ist festgelegt." Inas Texte? "Die sind einfach super. Die Ina spricht Gefühle und Situationen an, die ich auch manchmal kenne. Oder haben will." Möglicherweise unterhalte ich mich mit einem Vertreter des Männleinwunders der 80er Jahre, da Ina für die "toller^Frauen, die das Land hat", herbeibeschwört:

"Ob blond, ob braun, ob Henna. Weihnachten kriegen wir neue, liebe, frische, nette, reife, scharfe, sehr adrette, schöne, gutgewachsene, schlanke, ranke Super-Manna!"

Heftig

Die Tatsache, daß sie jetzt Rock macht, hindert ihr altes Publikum nicht daran, ihr sozusagen die Treue zu halten. Althippies, Punkies, "Neue-Welle"-Leute und Bewegungsfrauen klatschen gleichermaßen überzeugt Beifall. Natürlich gibt es auf jedem Konzert vereinzelte Fans, die die "alte Ina" hören wollen, die Liedermacherin mit der akustischen Gitarre. Durchs Mikro kommt dann der endgültige Abschied von den leisen Tönen: "Das hier ist ein Rockkonzert, die Klampfen-Eise gibt es nicht mehr. Vielleicht wird es noch viel lauter."

Mein Lieblingslied von ihr ist schon jetzt ein Hit: "Neue Männer braucht das Land". Auf meinem Fotokoffer pappt der Spruch inzwischen, und ich mache gerne kleine Anschläge mit den Aufklebern. Überall dort, wo ich neue und alte Patriarchen vermute, klebe ich sie blitzschnell an. Die Reaktionen sind immer heftig.

JILL VAUDEVILLE

Inas Texte

Dein Kuß klebt zwischen meinen Lippen, geht wie ein Stich unter die Haut, und Deine leise, warme Zärtlichkeit, ist fremd und nah, und Streit und Lust, wird kühl und heiß und feucht und laut.

Kann sein, daß es das war noch 'n paar Tage, oder ein Jahr, kann sein, daß da was war, mit Liebe und sonst gar nichts. (Nur Liebe und sonst gar nichts)

Wie oft wolltest du einfach aufhören, weil ich mich selber haben will, du hast so schwer gelernt zu lernen, und Rücksicht nehmen macht mich still.

Ich kann dir geben, was ich kriege,

alle Gefühle sind für dich,

es geht nicht mehr um deine oder meine Siege,

ich brauche neben dir auch mich.

(Ich brauche neben dir auch mich)

Laß's im Werbefernsehen laufen,

"Notfalls würd' ich einen kaufen",

singe es von allen Bühnen,

"Große Chancen haben Hünen",

trage es auf meinem T-Shirt,

"Schreibt mir wer, wo, was von wem hört".

Ich sprüh's auf jede Wand,

"NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND!"

(Neue Männer braucht das Land)
Gesamten Bestand von FrauenMediaTurm anzeigen

Kontext

wird geladen...

Standort

Frauenmediaturm – Feministisches Archiv und Bibliothek

Bayenturm / Rheinauhafen
50678 Köln
Telefon: +49 (0)221 931 88 10
Öffnungszeiten
Mo-Fr. 10-17 Uhr, nach Voranmeldung. Die Anmeldung kann telefonisch, per Mail oder über das Kontaktformular erfolgen. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei

Ich stimme der Nutzung von Google Maps zu.

Ähnliche Einträge