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Wie Dorothee Vorbeck vom Weg abkam und welchen Preis sie dafür zahlt

Verfasst von: Schwarzer, Alice info
in: EMMA
1978 , Heft: 4 , 11-12 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1978-4-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Schwarzer, Alice info
In: EMMA
Jahr: 1978
Heft: 4
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands)
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:
    Wie Dorothee Vorbeck vom Weg abkam und welchen Preis sie dafür zahlt

    Dass alle Parteien in diesem Lande Männerparteien sind, damit verraten wir kein Geheimnis und schon gar kein süßes. Über die CDU mit ihrer frauenfeindlichen Hausmütterchen-Ideologie wollen wir gar nicht erst reden.

    Und dass die SPD 1978 Jahrhunderte hinter Papa Bebel zurückgefallen ist, sollte sich auch inzwischen herumgesprochen haben. Frauen dürfen in dieser Partei wählen, die Dreckarbeit machen und den Mund halten. Tun sie das nicht, werden sie rauskomplimentiert oder gefeuert.

    Jetzt Dorothee Vorbeck, eine der klügsten und engagiertesten SPD-Politikerinnen in Hessen, die nach acht.Jahren bürger- und frauenfreundlicher Arbeit als Abgeordnete jetzt in einem CDU-Wahlkreis kandidieren "darf" und auf einen hoffnungslosen hinteren Listenplatz geschoben wurde. Auf gut deutsch: sie wird nicht mehr Abgeordnete, sie wird von der eigenen Partei abgeschossen - obwohl gerade Frauen diese Partei bestenfalls noch wählen könnten, weil solche wie Dorothee dort bisher gearbeitet haben. Dorothees Ende konnte auch durch den massiven Protest einiger Genossinnen und ein Frauen-Go-in beim Wiesbadener Landesparteitag nicht aufgehallen werden. Was schert diese Herren schon so ein Frauenprotest. . . Warum es gerade Dorothee trifft, zeigen die beiden folgenden Berichte. Der erste ist ein Gespräch, dass Alice Schwarzer schon 1973 mit Dorothee Vorbeck führte und unter dem Pseudonym "Katharina W." in ihrem Buch "Frauenarbeit - Frauenbefreiung" veröffentlichte. (Das Pseudonym erübrigt sich heute, die Vorsicht war überflüssig: eine bewußte Frau zu sein genügt, um auf der SPD-Abschußliste freigegeben zu werden.) Der zweite Text ist von Ulrike Holler, einer Frankfurter Journalistin, die Dorothees Entwicklung und die Reaktion ihrer Umwelt seit Jahren verfolgt. Die Schlüsse, die Ulrike zieht, müßten uns Frauen eigentlich alle auf die Barrikaden bringen statt an die Wahlurnen! Ich bin über die Jusos in die Politik gekommen und war da auch mehrere Jahre Vorsitzende. Mit politischer Frauenarbeit habe ich mich in dieser Zeit überhaupt nicht beschäftigt - im Gegenteil: es gab hier immer schon eine Gruppe sozialdemokratischer Frauen, aber wir hatten alle Hände voll zu tun, uns davon zu distanzieren. Heute sehe ich die Frauenarbeit mit ganz anderen Augen. Für mich ist die Frauenfrage der Raster geworden, der über allem liegt. Sie spielt ja auch in alle Bereiche hinein.

    Auch die SPD ist nur eine Männerpartei. Klar, dass das nicht gern gehört wird. Es kommt vor, dass unser politischer Anspruch einige Männer so verunsichert, dass sie ihre Aggressionen nicht mehr steuern können. Da stärkt uns SPD-Frauen nun andererseits die außerparlamentarische Frauenbewegung. Neue Impulse und Initiativen können sich sehr viel leichter zunächst außerhalb der Partei entwickeln. Deswegen ist da eine gewisse Doppelstrategie und ein sehr enger Kontakt zu diesen Gruppen wirklich erforderlich. Das, was im allgemeinen und offiziell als politisch bezeichnet wird, in den Parteien, in der Presse, das ist eine Welt, für die Frauen weder ausgebildet noch motiviert werden. Entsprechend verhalten sie sich auch, das heißt: völlig ablehnend, mindestens aber apathisch. Es betrifft sie nicht. Darum ist auch der Appell einer Partei an die Frauen "Organisiert euch bei uns!" völlig gefahrlos für die Etablierten, die Männer. Frauen halten sich für unfähig und inkompetent. Sie sind dazu erzogen, Männern den Vortritt zu lassen. Das kann man nur ändern, indem man Frauen bei ihren spezifischen Problemen anspricht (Abtreibung zum Beispiel), mit dem Ziel, ihnen klarzumachen, warum sie sich so verhalten, wer davon profitiert. Und den Wunsch zu wecken, das zu ändern. Man muss die Frauen in die Lage versetzen, das selbst zu ändern. Und etwas ändern, können sie nur gemeinsam. Natürlich ist das dann eben doch eine hochpolitische Angelegenheit.

    Man sitzt da zwischen zwei Stühlen. Die Partei findet es gut, wenn man sagt: Frauenarbeit. Jedenfalls bisher fand sie's gut, jetzt ist man ja vorsichtiger geworden (wir werden nämlich unbequem). Bisher wurde erwartet, dass man die übliche Alibi-Funktion übernimmt: Die Partei tut etwas für Frauen, denn sie hat ja sogar Frauen in den eigenen Reihen. Dann wird die Enttäuschung groß, wenn es nicht in dieser Weise läuft; wenn Dinge diskutiert werden, die seit Engels und Bebel kaum noch zur Sprache kamen: die ökonomischen Ursachen der Unterdrückung der Frau. Eine Politik zur Aufhebung von Ungleichheiten und Abhängigkeiten

    "Die SPD ist auch nur eine Männerpartei"

    kann gar nichts erreichen, wenn man nicht analysiert, welche Funktion in diesem Zusammenhang die Unterdrückung der Frau hat: im Produktionsprozess und, vor allem, in der Familie. Wie vereinbart die SPD ihren eigenen Anspruch, emanzipatorische Politik zu machen, mit der Wirklichkeit in ihren eigenen Reihen? Was ja - nebenbei - durchaus nicht nur die Frauen betrifft. Wie ist das mit der Repräsentation der Arbeiter? Man kann sich doch nicht zufrieden geben mit einer Politik für die Benachteiligten, wenn die Betroffenen nicht in der Lage sind, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. Das ist ja auch ein Problem bei den Linken - den Jusos und vor allem einer ganzen Reihe junger Frauen, die bei den Jusos organisiert sind und die politische Frauenarbeit in der Form einer Arbeit nur mit Frauen ablehnen und sagen: ,,Da gibt es keine politische Legitimation! Warum macht ihr einen eigenen Laden auf? Das führt zur Isolierung!" Nein, das führt zur Stärkung. Wir weisen dann zunächst auf die Tatsache hin, dass die Struktur bei den linken Gruppen sich in keiner Weise unterscheidet von der üblichen. Dass Frauen dort eine Minderheit sind und völlig angepasst, wenn sie Erfolg haben. Frauen sind nur erfolgreich, wenn sie ihr Frau-sein verleugnen.

    Ich bin 1968 in den hiesigen Parteivorstand gewählt worden und in den Jusovorstand und bin Jusovorsitzende geworden, die erste und einzige weibliche Vorsitzende in Frankfurt überhaupt. Ich war damals 32 -eigentlich kein typisches Alter für eine Jusokarriere. Ich hab da eine sehr stark integrierende Funktion gehabt, denn bei den Jusos gibt es immer starke politische Spannungen. Ich glaube, die hielten mich damals für besonders wählbar, weil sie .meinten, ich als Frau stünde ein bisschen darüber.

    Auch im Parteivorstand habe ich die meiste Zeit als einzige Frau gearbeitet, wobei mir heute klar ist, dass das kein Zufall war. Denn es ist jetzt so, dass jedes Jahr Frauen kandidieren, und dass diese Kandidaturen immer als Kandidaturen gegeneinander funktionieren. Nur eine Person von 15 im Parteivorstand lässt man eine Frau sein. Dann sitzt man da in diesem Männerkreis und muss sich möglichst so verhalten, wie die das auch tun, zum Beispiel: Männer tagen furchtbar gern am Wochenende, weil sie ungern zu Hause sind, und sie arbeiten auch abends gern sehr lange. Einerseits diese verlogene Familienideologie, andererseits in der Praxis dieser Zynismus, mit dem sie ihre Familien behandeln. Sie profitieren von der Familie, aber ansonsten distanzieren sie sich von ihr: ,,Ach du liebe Zeit, nach Hause gehen . . ." Im Parlament habe ich mich für den Sozialpolitischen Ausschuss gemeldet; das wurde glatt berücksichtigt, weil es im Grunde von mir erwartet wurde, weil es die typische weibliche Sozialecke ist. Die Sozialpolitik hat eben immer noch den Charakter des Karitativen und wird darum den Frauen zugestanden. Es gibt, glaube ich, auch wirklich einen Zusammenhang: die eigene Lage bringt einfach eine erhöhte Sensibilität für Benachteiligungen. Ich finde, dass gerade die Sozialpolitik ein Gebiet ist, wo man noch am meisten machen kann, wo die Perspektiven noch nicht entwickelt sind, wo noch Weichen zu stellen sind.

    Wir sind heute in der Fraktion 53 Abgeordnete, davon sind 4 Frauen. Die CDU hat vier Frauen, die SPD hat vier Frauen - die SPD scheint sich in der Hinsicht nicht von einer konservativen Partei zu unterscheiden. Es kommt auch bei uns immer wieder vor, dass Positionen - auf Wahllisten oder, wie jetzt, beim Bundestagspräsidium - als reine Frauenposten freigehalten werden: "Platz für ein biologisches Wesen Frau. Muss noch gesucht werden." Das ist natürlich beschämend für die betroffene Frau, aber mehr noch für die Partei. Frauen, die das durchschauen und artikulieren, kommen

    "Erfolg nur bei Verleugnung des Frauseins"

    dann natürlich ihrerseits für solche Positionen nicht mehr in Frage; sie fallen völlig raus. Damit sie ihren . Kampf durchstehen können, brauchen wir noch viel politische Solidarität - innerhalb wie außerhalb der Partei.

    Für mich ist politische Frauenarbeit heute primär. Das ist eine Arbeit, bei der man wirklich etwas tun kann: Man erlebt regelrecht, wie man Bewusstseinsprozesse in Gang setzt. Außerdem bin ich selbst als Frau betroffen, beziehe mich in diese Arbeit mit ein: Politik und Privatleben sind endlich nicht mehr getrennt. Beim letzten Wahlkampf habe ich einen typischen Frauenwahlkampf gemacht: regelmäßige und zahlreiche Frauennachmittage für Hausfrauen, mit Kinderbetreuung und Kasperletheater. Die Frauen kamen, vor allem sehr viele Großmütter, die die 1 Enkelkinder verwahrten. Da konnte man politisch diskutieren mit Frauen, die nie und nimmer zu irgendeiner parteipolitischen Veranstaltung kommen, nicht über so genannte , "politische" Fragen, sondern über ihre Situation, über die Frage: Was wird mit den Kindern? Und den Müttern? Über Schularbeiten und Versagen der Schule. Ich spreche da auch ganz anders als auf den Parteiveranstaltungen. Die eigene Situation - und das war für mich so ein Schlüsselerlebnis - ist keine individuelle, sondern eine gemeinsame. Natürlich ist die Frage, was man dann weiter macht. Diese Frauen gehen dann nach Hause, und ich habe nicht, die Zeit, sie wieder zusammenzuholen. Die Jusos haben sich über diese Form des Wahlkampfes ein wenig gewundert. Sie fanden das vielleicht sogar lächerlich. Ich erinnere mich an eine Jusoveranstaltung, wo ich als "Linke" im vor aus großen Beifall kriegte, als ich zum Mikrophon ging. Als ich aber anfing, über Frauenemanzipation zu reden, herrschte betretenes Schweigen. Da war der Beifall nur noch dünn. Es wird ja viel darüber diskutiert, wieweit man in der Frauenemanzipation im Augenblick mit den Männern zusammen weiterkommen kann. Ich bin da ziemlich resigniert. Ich glaube, dass wir das erst einmal, ich will nicht sagen: gegen die Männer, aber an den Männern vorbei erreichen müssen. Als wir mit der politischen Frauenarbeit anfingen, haben wir ein Muttertags-Flugblatt gemacht. Mit einem Mal hat der Parteivorstand beschlossen, es einzustampfen, weil es in der Öffentlichkeit schädlich wäre. Den Angriff gegen den Muttertag würden die Wähler nicht verstehen, die würden denken, man wäre gegen die Mutter und lauter solches Zeug - was objektiv falsch ist, denn die Diskussionen mit den Frauen über den Muttertag waren sehr gut, genauso wie im Fall des § 218. Das ist klar, wenn man die Frauen an ihrem Problem packt, dann kriegt man die angeblich unpolitische Frau auf die Straße. Das Einstampfen ist nur daran gescheitert, dass es technisch nicht mehr möglich war - wir hatten 's schon verteilt. Der Frauenbereich wird eben ausgespart, zunächst einmal mit dem Argument: das ist nicht politisch. Dann kommt das nächste: das schadet der Partei. Der wahre Grund ist natürlich, dass jeder einzelne von den Männern ganz elementar betroffen ist, persönlich profitiert von der Unterdrückung der Frauen.

    *ALICE SCHWARZER
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