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Unsere Schwestern von gestern: Mary Wollstonecraft

Verfasst von: Büsche, Berta
in: EMMA
1977 , Heft: 4 , 56-57 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1977-4-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Büsche, Berta
In: EMMA
Jahr: 1977
Heft: 4
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Zu ihrer Zeit wurden in Europa noch Hexen verbrannt. Es gab Sklaverei und Feudalherrschaft. Selbst Frauen privilegierter Stände waren Bildung und primitivste Bürgerrechte (wie die Teilnahme an den Wahlen) versagt. Gleichzeitig aber war ihre Zeit die des Aufbruchs, geistig, sozial und politisch: die französische Revolution bewegte alle freiheitlich denkenden Menschen Europas. Und schon damals hatte sie einen noch immer aktuellen Konflikt: den zwischen Frauenrechtlerinnen und Männern, die sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen, dabei aber die Hälfte der Menschheit, die Frauen, nicht nur vergessen, sondern sogar aktiv zu ihrer Unterdrückung beitragen. So schrieb Mary Wollstonecraft vor fast 200 Jahren an den Minister der französischen Revolution, an Talleyrand: "Ich spreche zu ihnen als Gesetzgeber. Bedenken Sie, ob - wenn es dem Manne erlaubt ist, für seine Freiheit zu kämpfen und über sein Glück zu urteilen - es nicht folgewidrig und ungerecht ist, die Frau zu unterjochen, selbst wenn es in der besten Absicht geschieht, dadurch ihr Glück zu fördern. So sprechen alle Tyrannen, vom schwachen König bis zum schwachen Familienvater: Sie sind alle eifrig bemüht, die Vernunft zu vernichten und versichern beständig, daß sie sich nur im Interesse der anderen die Herrschaft aneignen. Handeln sie nicht ebenso, wenn sie den Frauen alle bürgerlichen und politischen Rechte entziehen, sie dazu zwingen, in ihren Familien eingekerkert zu bleiben und im Dunkeln zu tasten?"

Die Tatsache, daß die Erben der französischen Revolution die Frauen, die mit ihnen auf den Barrikaden Seite an Seite gekämpft hatten, wieder ins Haus sperrten, ihnen die wenigen errungenen bürgerlichen Rechte wieder nahmen (so das Versammlungsrecht) und Frauen, die sich nicht fügten, aufs Schaffott schickten (so Olymp de Gouges), diese Tatsache mußte Mary ganz besonders schmerzen, war sie doch eine glühende Anhängerin der französischen Revolution.

Wie immer in solchen Zeiten des Aufbruchs waren die Frauen in Wort und Tat vornean. Allen voraus die Engländerin Mary Wollstonecraft. "Die Vernunft verlangt, daß die Rechte der Frauen geachtet werden und schreit um Gerechtigkeit des Menschengeschlechts!" - erklärte Mary Wollstonecraft. Mit ihrer 1792 publizierten "Verteidigung der Rechte der Frauen" inspirierte sie über zwei Jahrhunderte den Frauenkampf. Doch erst jetzt ist der lange verschüttete Text auch in deutscher Sprache wieder aufgelegt (beim Ala-Verlag, Zürich).

Wer war Mary? Sie war die Tochter eines durch Trunksucht verarmten Landwirts. Es war typisch für ihre Zeit (und hat sich bis heute nicht wesentlich geändert), daß sie als Mädchen kaum eine Ausbildung bekam, ihr älterer Bruder jedoch in eine Anwaltskanzlei gegeben wurde. Mary, zweitältestes von sechs Geschwistern, mußte währenddessen im Haus mit Hand anlegen. In ihrer eigenen Familie sah sie viel Demütigendes. Oft mußte sie sich vor den betrunkenen Vater stellen, um die Mutter vor Schlägen zu schützen.

Mit 18 beschloß Mary, nie zu heiraten: "Weder aus Eigennutz, noch, um ein Leben in Abhängigkeit zu erdulden." Nun gab es für Mary drei Möglichkeiten, sich auf "anständige Art" ihr Leben zu verdienen: mit Unterricht an einer Schule, als Gouvernante in einer Familie oder als Gesellschafterin einer reichen Frau. Mary übte alle drei Tätigkeiten aus, gründete einmal sogar zusammen mit einer Freundin eine eigene Schule!

Ihr erster Text ist Resultat dieser Erfahrungen, er handelt von der Erziehung von Mädchen und Jungen. Mit sehr viel Energie und ein wenig Glück fand Mary in London tatsächlich einen Verleger. Mehr noch: sie bekam bei dem Verlag auch eine Stelle als Lektorin (und wurde so der wahrscheinlich erste weibliche Lektor überhaupt). Sie lektorierte, übersetzte und besprach Bücher, vor allem aus dem Französischen, aber auch aus dem Deutschen und Italienischen. Die Sprachen hatte sie sich - wie alles - selbst beigebracht.

Damals war sie Ende zwanzig. Zu ihrem Freundeskreis gehörte unter anderem der berühmte Maler Füssli. Füssli-Biograph Schiff schilderte Mary viel später folgendermaßen:

"Mary Wollstonecraft war eine Protegé des Verlegers Joseph Johnson, für den sie Bücher übersetzte und besprach. Sie ... muß, auch für damalige Begriffe, als überspannt gegolten haben, litt periodisch unter nervösen Depressionen und bezeugte den materiellen Erfordernissen des Lebens, ja allen weiblichen Bedürfnissen, eine souveräne Verachtung. Ihr Haus war dürftig möbliert, und sie trug Knowles zufolge die Kleider einer Milchfrau mit einem Biberpelzhut, unter dem ihre Haare lang und ungepflegt herabhingen, und schwarze Wollstrümpfe. Längst hatte sie für sich die zunehmende politische Radikalisierung des Johnson-Kreises vollzogen . .. Da mochte man gemeinsam schwärmen und die neuesten Nachrichten verschlingen aus Frankreich, die Mary für Johnson übersetzte. Die 'philosophische Schlampe' gewöhnte sich so mehr als für sie gut war an die geistreichen Reden des Herrn Füssli."

Wir sehen, Mary hat noch weit über ihren Tod hinaus männliche Gemüter erregt. . . Derselbe Herr Schiff interpretiert eine Abbildung Marys: "So wie ihr Bildnis im Porträt von Opie überliefert ist, erscheint Mary Wollstonecrafts großflächiges, beinahe schönes Gesicht wie das einer antiken Juno ohne deren olympische Ruhe. Allein, Maßlosigkeit des Fühlens, Denkens, Wollens, ist eine unerträgliche Mischung. Eine hektische Juno muß in Männern Abwehrreflexe hervorrufen!" Auch bescheinigt Herr Schiff ihr "die aggressive Intellektualität von Blaustrümpfen".

Damit wir die Aufregung des Herrn besser verstehen, hier ein paar Zitate Marys: "Setzen die ungereimten Grillen der Männer uns nicht von allen Seiten so zu, so müßte es fast ein Lächeln der Verachtung erzeugen, zu sehen, wie geschäftig sie sind, ein Geschlecht, dem sie nach ihren eigenen Worten die höchsten Freuden des Lebens verdanken, recht tief herabzuwürdigen." Auch die Frauen bekamen ihr Fett ab: "Sklaverei würdigt nicht bloß das Individum herab", spottete Mary, "ihre Wirkungen scheinen sich auf die Nachkommen zu erstrecken. Wenn man die Länge der Zeit überdenkt, während der die Weiber so abhängig gewesen sind, ist's wohl noch zu verwundern, daß einige von ihnen ihre Ketten küssen, und sich wie Wachtelhündchen anschmeicheln?" Doch so sehr Mary, die kühne Einzelkämpferin, auch über ihr eigenes Geschlecht verzweifelte, so wenig verlor sie jemals aus den Augen, warum Frauen so wurden:

"Wenn die Frauen einst aufgeklärt genug sein werden, um ihr wahres Interesse im weitesten Maße zu erkennen, dann bin ich sicher, daß sie auf alle Vorrechte einer Liebe, die nicht auf Gegenseitigkeit beruht, verzichten werden zugunsten der dauernden Vorrechte gelassener Freundschaft, zarten Vertrauens und fortgesetzter Achtung. Dann werden die Frauen nicht vor der Ehe kecke Manieren zeigen, um sich nachher verächtlich zu demütigen. Sie werden versuchen, in beiden Ständen wie vernünftige Geschöpfe zu handeln, und brauchen nicht von der Höhe eines Thrones hinabzustürzen." Und weiter:

"Frauen können aber Arzneikunde studieren und ebensogut Ärzte werden wie Krankenpflegerin. Hebammendienste wird man ihnen wohl zugestehen. Die Frauen könnten auch Staatswissenschaften studieren und ihr Engagement auf der breitesten Basis befestigen. Wenn Frauen richtig erzogen wären, könnten sie auch verschiedene Gewerbe und Geschäfte betreiben und sich dadurch vielfach vor gemeiner und legaler Prostitution bewahren. Dadurch wäre die Frau nicht genötigt, um des Unterhalts willen zu heiraten und das lobenswerte Bemühen, ihre Existenzmittel selbst zu schaffen, würde sie über die armen, verlassenen Geschöpfe erheben, die durch Prostitution leben ... Die wenigen Berufe, die den Frauen zugänglich sind, beschränken sich alle auf die Häuslichkeit." Mary forderte gleiche Erziehung für Frauen, auch körperlich. "Es ist wahr, die Männer besitzen überwiegende Leibeskräfte. Allein, wenn nicht falsche Begriffe von Schönheit hier im Wege ständen, so würden die Weiber sich deren genug erwarten können, ihren Unterhalt sich selbst zu verdienen - worin doch eigentlich wahre Unabhängigkeit besteht! ... Man erlaube uns demnach ähnliche Leibesbewegungen wie den Knaben, nicht bloß in unserer Kindheit, sondern auch in den Jugendjahren, und lasse eben dadurch auch unseren Körper zu seiner Vollkommenheit gedeihen, damit die Erfahrung lehre, wie weit die natürliche Überlegenheit des Mannes sich erstreckt." Auf einen Text von Burke, einem Gegner der französischen Revolution, antwortete Mary mit der "Verteidigung der Frauenrechte" - einer flammenden Streitschrift. Zuvor hatte sie bereits die "Verteidigung der Menschenrechte" publiziert. Beide Texte machten sie rasch berühmt. Anfang 1792 war die "Verteidigung der Frauenrechte" im Handel. Sie wurde sofort auch in Amerika und in Paris und Lyon gedruckt und veröffentlicht. Mary Wollstonecraft erwarb sich den internationalen Ruf einer "Unterrockhyäne" (wie sich die Töne gleichen...). Während der französischen Revolution hielt es Mary nicht länger: sie fuhr nach Paris, um an Ort und Stelle zu sehen und zu schreiben. In dieser Zeit lernte sie den amerikanischen Schriftsteller Imlay kennen, mit dem sie ihr erstes Kind, Fanny, hatte. Die Beziehung zerbrach, sie behielt das Kind. Zurück in England nahm sie wieder Kontakt zu ihren alten Freunden, dem Verleger Johnson und dem Schriftsteller Godwin, auf. Sie muß in dieser Zeit müde und resigniert gewesen sein. Das erneute Dunkel nach der politischen Morgenröte und auch der Bruch mit Imlay, den sie sehr gern hatte, setzten ihr zu.

Mary wurde ihrem alten Schwur untreu: sie heiratete Godwin. Erneut schwanger schrieb sie dennoch an zwei Büchern gleichzeitig, an einem Roman über die Situation der Frauen und an einem Kinderbuch. Beide Bücher sollten nie fertig werden: das zweite Kind kostete sie ihr Leben. Bei der Geburt ihrer Tochter Mary starb Mary Wollstonecraft an Komplikationen durch die Nachgeburt. . . Ihre Bücher, darunter ihr wichtigster Text, die "Verteidigung der Rechte der Frauen", gerieten in Vergessenheit. Erst ein halbes Jahrhundert später entdeckte sie die französische Sozialistin und Frauenrechtlerin Flora Tristan in London wieder. Ihrem Einsatz ist es wahrscheinlich zu verdanken, daß die "Verteidigung der Frauenrechte" - allgemeiner Kommentar ein"schlimmes Buch" -, wieder verlegt wurde und so die Frauenkämpferinnen vor zwei Jahrhunderten wesentlich beeinflussen konnte.
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