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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1990-5-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Rauch, Judith
In: EMMA
Jahr: 1990
Heft: 5
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Frauenforschung

Mit Sappho fing es an

Frankfurt, 5. Oktober 1989. An historischer Stätte, in der Paulskirche, dem Sitz des ersten deutschen (Männer-) Parlaments, wird der größte und pompöseste Frauenforschungskongress in der Geschichte der Bundesrepublik eröffnet: l .500 Frauen sind gekommen, darunter die renommiertesten Wissenschaftlerinnen aus aller Welt. "Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht" heißt das Motto. Und vor den sanft surrenden Kameras der "Tagesschau" streitet frau sich um die Frage, ob der Begriff ,,Patriarchat" nicht als "überholt" zu gelten habe. Gastgeberin ist die Professorin Ute Gerhard. Um ihren Lehrstuhl für Frauenforschung, den sie seit zwei Jahren innehat, haben Frankfurter Studentinnen 13 Jahre lang gekämpft.

Szenenwechsel, zehn Monate zurück. Berlin, 7. Januar 1989. Zum UNiMUT-Kongress, dem Höhepunkt des bereits seit Wochen brodelnden Uni-Streiks, sind Studentinnen aus der ganzen Bundesrepublik angereist. Der Samstag gehört ganz den Frauen. Denn sie, die Studentinnen, stehen in diesem Streik an der Spitze der Bewegung. Ihre Forderungen sind radikal - wie vor 15 Jahren: "Schluß mit Herrlicher Wissenschaft! Alle Stellen für feministische Profs!" - Doch die Diskussion um die Frage "Was ist feministische Wissenschaft?" hat kaum begonnen, da platzt ein Hausmeister herein mit der Nachricht, in der Nacht sei in den besetzten Räumen der "Freien Universität" eine Vergewaltigung passiert. Das Opfer: eine streikende Studentin. Der Täter: wahrscheinlich ein streikender Student. Das Patriarchat - überholt?
Zeit sich zu erinnern, wie alles anfing. Mit den Frauen an der Uni. Und mit der Frauenforschung. Zeit, kritisch Bilanz zu ziehen.
Die Idee der Universität - wer hätte es gedacht? - stammt ursprünglich von einer Frau: der griechischen Dichterin und Philosophin Sappho. Vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden, um 590 vor Christus, gründete sie auf der Insel Lesbos eine Schule für Mädchen und Frauen. Nach ihrem Vorbild formten 200 Jahre später Sokrates und sein Schüler Platon ihre "Akademie" - für Männer. "Die gesamte abendländische Tradition der Erziehung", resümiert die Frauenforscherin Ingrid Schmidt-Harzbach, "geht somitüber Platon und Sokrates letztlich auf Sappho zurück."
Vom weiblichen Erbe war nichts mehr zu spüren, als 1348 in Prag die erste deutsche Universität gegründet wurde. Von da an bis zum Anfang dieses Jahrhunderts blieben die deutschen Unis reine Männerbastionen. Die Zulassung zum Studium haben sich Frauen erst in den ersten zwei Jahrzehnten erkämpft, die Zulassung zu Forschung und Lehre erst in den 20er Jahren. Beides wurde von den Nazis rigoros gestoppt, beides ist bis heute nicht gewonnen. Der Frauenanteil der Studentinnen beträgt zwar heute 40 Prozent, der der Professorinnen aber immer noch nur 4,5 Prozent!"
Der Kampf um die Inhalte der akademischen Ausbildung beginnt in Deutschland erst spät, Ende der 60er Jahre. Auslöser ist auch damals eine allgemeine Revolte. Die 1968er Studentenbewegung hat den "Muff unter den Talaren" gelüftet, die "Objektivität" der herrschenden Wissenschaft in Frage gestellt und Marx an der Uni hoffähig gemacht. Die Student/innen, .die als "Genossinnen" nur beim Flugblätter-Tippen und im Bett gefragt sind, stellen bald neben der Klassen- auch die Frauenfrage, werfen mit Tomaten und gründen Weiberräte. Erst der Kampf für die eigene Sache aber bringt die Frauen wirklich weiter. Das öffentliche Bekenntnis: "Wir haben abgetrieben!" (1971). Die Gründung der ersten Frauenzentren (1972). Diese neue bundesdeutsche Frauenbewegung ist keine rein akademische Bewegung. In den Frauenzentren treffen sich neben Studentinnen auch berufstätige Frauen und Hausfrauen. 1981 schreibt Emma im Rückblick: "Die Studentinnen, die - unter anderem - über den Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen in die Frauenzentren gekommen waren (...), hatten sich bisher oft an ihrem eigenen Arbeitsplatz völlig ignoriert. An der Universität, wo sie studierten oder-seltener-lehrten, beschäftigten sie sich weiterhin mit .normalen' Themen - im Rahmen der herrschenden Wissenschaft, die sie höchstens als Linke, aber bisher noch nicht als Feministinnen hinterfragt hatten." 1974 ändert sich das schlagartig! Jetzt rufen Studentinnen und junge Wissenschaftlerinnen die ersten Frauenseminare ins Leben. Seminare nur für Frauen-etwas völlig Neues und Revolutionäres an den Männeruniversitäten! Die ersten gibt es in Berlin und Frankfurt, rasch aber auch in Münster, Hamburg, Bielefeld, Bochum, Kassel, Düsseldorf, Aachen, Mannheim, München, Göttingen, Hannover und Marburg. Und die Frauen strömen. Etwa zu der Berliner Soziologin Renate Bookhagen: "Im zweiten Semester zwängten sich schon 100 Frauen aus 12 verschiedenen Fachbereichen in die oft zu kleinen Räume. War es verschiedenen Fachbereichen in die oft zu kleinen Räume. War es schon ein ordentlicher Schock für die Genossen und Kommilitonen, dass so viele Frauen sich auf einmal mit ihren eigenen Problemen befassen wollten , die doch nur den "Nebenwiderspruch" darstellten (neben dem Hautwiderspruch Arbeit und Kapital), so waren sie noch mehr entsetzt, als sie erfahren mussten, dass die Frauen das auch noch für sich alleine tun wollten. (…) Die Diskussion über "Männer raus" musste in jeder Sitzung dieses ersten Frauenseminars wieder neu geführt werden."
Die Veranstaltungen haben Titel wie "Feminismus", "Berufstätigkeit der Frau" oder "Situation von Studentinnen und Dozentinnen" - immer aber geht es in erster Linie um Selbsterfahrungen, um die "eigene Identität", die "eigene Praxis" der Frauen. Eben um all das, was bisher nie thematisiert worden ist.
Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis der Berliner Uni-Frauenzeitschrift "Nebenwiderspruch", die von 1974 bis 1978 in unregelmäßigen Abständen erscheint, gibt einen Eindruck, was da alles wichtig wir: Mädchenbildung, psychische Probleme von Studentinnen, Kleiderzwänge, Anmache, Scheidung, Sexualität (Der Raubdruck "Der Mythos vom vaginalen Orgasmus" von Anne Koedt ist der Renner!), Mutterschaft, Abtreibung, Lesbianismus… Die "Blaustrümpfe" - so präsentieren sich die aufmüpfigen Studentinnen auf dem ersten Titel des "Nebenwiderspruchs" selbstironisch - lassen sich nicht länger einschüchtern.

Und eine erkennt sich in der anderen wieder - wenn auch noch sehr bemüht, nicht zu persönlich zu werden: "Das Seminar war für mich deswegen eine so große Hilfe", schreibt zum Beispiel eine Aachener Studentin, "weil mir Dinge, die vorher ein unbestimmbares Unbhagen hervorgerufen hatten, plötzlich deutlich wurden. Ich sah, dass zum Beispiel die, Familienpolitik' meiner Eltern kein Einzelfall, keine individuelle Erscheinung, sondern fest verankert ist in den bürgerlich-gesellschaftlichen Konventionen und Traditionen." Und ein Student in dem "gemischten" Aachener "Frauenseminar" erkennt reuig: ,,Ich habe den Einstieg gefunden, mich von nun an stärker als vorher mit Fragen der Unterdrückung der Frau, der Bedeutung und den Perspektiven der Frauenbefreiungsbewegung zu beschäftigen und auch mein persönliches Verhalten und meine eigenen Erfahrungen stärker zu überdenken und zu ändern, bzw. das zu versuchen."' Richtig familiär geht es zu in diesen Pionier-Veranstaltungen: ganze Freundinnen-Cliquen und Wohngemeinschaften nehmen geschlossen teil, und eine Aachener Studentin bringt sogar ihre Mutter mit.

Wissenschaft? Die alten konservativen und die jungen linken Uni-Männer schütteln unisono die Köpfe. "Man kann meiner Meinung nach nur unzulänglich Erfahrungen und Wissenschaft miteinander vermischen", belehrt der Berliner Soziologe Jürgen Huss 1975 seine Kollegin CarolHagemann-White.Aberdie weiß es besser. In den USA, ihrem Heimatland, vermischen Frauen die beiden Dinge schön länger und mit Erfolg.

,,Women's studies" nennt sich das (zu deutsch: Frauenstudien). Mitte der 70er Jahre existieren schon an 120amerikanischen Universitäten und Colleges Frauenstudien-Programme; frau kann darin sogar einen Magister machen oder gar promovieren. Und noch etwas gibt es jenseits des großen Teiches: "summer schools", Sommerschulen. Das wollen die deutschen Frauen an der Uni jetzt auch haben: Die Idee einer "Frauensommeruniversität" wird geboren. Fast wie einst bei Sappho auf der griechischen Insel wollen Frauen in der deutschdeutschen Enklave 2.500 Jahre später ebenfalls zusammen lernen, aber auch feiern. Eine ganze Woche lang!
Frauen folgen im Juni 1976 der Einladung einer Berliner Dozentinnengruppe in die so genannte "Rostlaube" der Freien Universität, Studentinnen, aber auch Nicht-Akademikerinnen. Sie beschäftigen sich bei der ersten von insgesamt sieben Berliner Frauensommeruniversitäten mit der "Gretchen-Episode in Goethes Faust" ebenso wie mit der "Hausarbeit heute", mit den "Frauen im Strafvollzug" ebenso wie der "Ungleichzeitigkeit der Gefühle". Die Forderung nach einem "Frauenlehrstuhl" wird laut. Zwei Jahre zuvor ist ein solcher bereits in Frankfurt proklamiert worden. 1977 dann erstmal der Ruf nach der Quote: "Die Hälfte aller qualifizierten Arbeitsplätze für Frauen!"
Die Ideen der Berliner "Sommerunis" werden weiter getragen. Bald gibt es "Frauenwochen" an den Universitäten Bremen, Hamburg und Oldenburg. Im klassenbewussten Dortmund steigt das "Frauenforum im Revier". Frauenseminare entstehen nun allerorten, an Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen. Wo Frauenseminare nicht durchgesetzt werden können, gründet sich zumindest eine "Uni-Frauengruppe".
Die Frauenbewegung geht auch an den traditionellen Institutionen der Erwachsenenbildung nicht spurlos vorüber. Volkshochschulen werden in vielen Städten zu wahren Zentren des neuen Frauenwissens. Dort ist frau auch ohne Abitur willkommen. Die feministischen Dozentinnen sind oft die gleichen wie an der Uni, und sie scheinen froh, endlich aus dem Elfenbeinturm herauszukommen. Die ,,Frauenstudien"-Initiativen in Saarbrücken, Bielefeld, Essen, Dortmund und sieben weiteren Unis und Fachhochschulen der BRD sind ähnlich offen. Sie bieten bis heute eine wissenschaftliche Weiterbildung auch für ,.Familienfrauen" an.

Ende der 70er Jahre erreicht die Diskussion um die Frauenforschung auch die Standesorganisationen der Wissenschaftlerinnen. Auf dem Soziologentag der ehrwürdigen "Deutschen Gesellschaft für Soziologie" (DGS) setzt sich 1976 zum ersten Mal eine Gruppe von Forscherinnen zusammen. Ihre Forderung: Frauenforschung soll als eigenes Forschungsgebiet innerhalb der Sozialwissenschaften anerkannt werden. Eine "Sektion Frauenforschung" soll Inder DGS entstehen. Aus der Initiative wird bald eine breite Bewegung, die mit ihrer Interdisziplinarität die engen Grenzen der Soziologie sprengt. Längst diskutieren Theologinnen, ja sogar Naturwissenschaftlerinnen mit. Passen die neuen Frauen in die alten Strukturen? Manche wollen's versuchen. Andere sind dagegen; Frauenforschung lasse sich "weder in gängige Disziplinen noch in das herrschende Wissenschaftsverständnis einfügen", argumentieren sie. So entstehen nach einigem Hin und Her zwei gleichberechtigte Initiativen: ein Teil der Forscherinnen bleibt als ,,Sektion Frauenforschung" in der DGS. Ein Teil gründet den unabhängigen "Verein sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis" in Köln, der seit 1978 die Zeitschrift "beitrage zur feministischen Theorie und Praxis" herausgibt.

Auch in Westberlin bricht jetzt ein Streit aus um die Frage "Autonomie oder Institution" (so der Titel der Sommeruni 1979). Er droht die junge Frauenforschungs-Bewegung fast zu spalten. Ausgelöst wird er von der Berliner Wissenschaftlerin Hanna-Beate Schöpp-Schilling (heute Referatsleiterin im Bonner Familienministerium). Voller Schwung kommt sie 1977 aus den USA zurück, im Kopf die Idee, "women's studies" endlich auch hierzulande zu institutionalisieren. Die pragmatische Beate findet auch gleich Gehör beim damaligen Westberliner Wissenschaftssenator Peter Glotz (zumal Senatswahlen bevorstehen): Gelder werden bereitgestellt, eine "Planungsgruppe" an der Freien Universität eingerichtet, ein "internationaler Frauenforschungskongress" veranstaltet. 1981 wird die "ZE" gegründet, die "Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung", die erste Koordinationsstelle für alle Frauenforscherinnen an den örtlichen Universitäten.
Dem "radikaleren Teil" der Berliner Wissenschaftlerinnen geht das alles viel zu schnell. Und viel zu glatt. "Ein Instrument des Staates" sehen sie in der ZE-Initiative, einen Versuch, "universitäre Frauenstudien von der außeruniversitären Frauenforschung abzutrennen". Sie selbst beginnen außerhalb der Universität und mit viel bescheideneren Mitteln mit der Planung und dem Aufbau des FFBIZ, des "Frauen-Forschungs-, Bildungs- und Informationszentrums".
Das Zentrum, zu dem eine Bibliothek und ein Archiv gehören, das eigene Forschungsprojekte und Veranstaltungen organisiert (von "Frauen in den Gewerkschaften" bis "Töpfern wie in Afrika"), ist die älteste "freie" Forschungsinitiative. Zusammen mit anderen "Freien", wie der Frauenakademie München (F.A.M), dem Frankfurter Institut für Frauenforschung (FIF) und dem "Archiv der Deutschen Frauenbewegung" Kassel haben sich die FFBIZ-Frauen 1989 in einer Bundesarbeitsgemeinschaft (BAFF) zusammengeschlossen.
Einen Überblick über alle Frauenforschungs- und -Studienaktivitäten in der BRD hat vor kurzem die Soziologin Gudrun Werner-Hervieu erarbeitet, im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft. Sie resümiert: "Es gibt heute so gut wie an jeder Hochschule der Bundesrepublik mehr oder weniger institutionalisierte Fraueninitiativen. Sie reichen von studentischen Arbeitsgruppen über Frauenseminare, Gastvorträge und Ringvorlesungen bis hin zu Frauencafes und ,männerfreien Zonen'." Es gibt allerdings ein Nord-Süd-Gefälle und, weil Bildungspolitik Ländersache ist, auch regionale Unterschiede. Die Hauptzentren der Frauenforschung liegen in den traditionellen SPD-Ländern Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Berlin und Hamburg. Allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden jüngst über 200 Frauenforschungsprojekte in 30 verschiedenen Disziplinen gezählt. Die Zahl der Frauen, die in der BRD vorrangig Frauenforschung betreiben, dürfte bei schätzungsweise 1.000 liegen. Es gibt mittlerweile 16 Professuren in der BRD, die ausdrücklich der "Frauenforschung" gewidmet sind, die meisten davon in NRW und Berlin. An der FU Berlin, einer Hochburg der Frauenstudien, wurden in den letzten neun Jahren insgesamt über 1.000 Lehrveranstaltungen mit Themen aus dem Bereich der Frauenforschung angeboten. Das klingt beeindruckend. Ist es aber nur bedingt. Die Frauenforschungsforscherin Gudrun Werner-Hervieu: "Heute noch werden Frauenseminare wie in den Anfängen vor allem von Frauen aus dem so genannten Mittelbau, also von Hochschulassistentinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, angeboten. Oder von Lehrbeauftragten, die sich jedes Semester neu bewerben müssen. In der Regel geschieht dies auf eigene Initiative hin, das bedeutet zusätzliche, unbezahlte Arbeit neben sonstigen Lehr- und Forschungsverpflichtungen. Zudem hat der Großteil des wissenschaftlichen Personals im Mittelbau nur Zeitverträge."

Das Heißt: jedes Mal wieder bangen und zittern, ob's den Frauenforschungskurs im nächsten Semester auch noch gibt. Das heißt auch, vor allem an den Hochschulen im schwarzen Süddeutschland: Ohne die Initiative der Studentinnen, die zum Beispiel vom Frauenreferat aus Ringvorlesungen organisieren, gab's überhaupt kein Lehrangebot für Frauen. Nur die Einrichtung von Lehrstühlen oder Forschungsinstituten garantiert Dauer. Doch neue Lehrstühle und Forschungsinstitute sind Mangelware in einer Zeit allgemeiner Hochschulmisere. Erst recht für Frauen und gar noch für Feministinnen! 13 Jahre, wie gesagt, mussten die Frankfurter Studentinnen kämpfen, bis sie den bereits 1974geforderten Frauenlehrstuhl durchhatten, die Berlinerinnen kämpften neun Jahre für die erste Frauenforschungsprofessur an der FU. Viele namhafte Frauenforscherinnen wie zum Beispiel die Linguistinnen Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz oder die Rechtsphilosophin Hannelore Schröder haben nach unzähligen Bewerbungen längst die Hoffnung auf eine Professur in der BRD aufgegeben; sie schlagen sich als freiberufliche Forscherinnen durchs Leben oder sind ins Ausland gegangen.

Kein Wunder also, dass in letzter Zeit viel über Geld geredet wird auf den Kongressen der Frauenforscherinnen. Bundesweite Fördermodelle werden diskutiert: eine Quotierung der Forschungsmittel und Jurys zum Beispiel, ein "weiblicher Bildungs- und Wissenschaftsrat", eine "Lila Liste" förderungswürdiger Frauenprojekte.

Einige Bundesländer signalisieren guten Willen. So fördert der rot-grüne Berliner Senat die Frauenforschung zur Zeit mit einer Million Mark pro Jahr. Selbst heute konservativ regierte Länder wie zur Zeit Hessen und traditionell Baden-Würtemberg wollen sich in diesem Jahr je eine halbe Million Mark abringen. Und in Niedersachsen leistet sich die CDU bereits seit neun Jahren mit dem Hannoveraner "Institut Frau und Gesellschaft" (erste Leiterin: Rita Süssmuth) sogar eine eigene frauenpolitische Denkschmiede - übrigens die bisher einzige einer Partei.

Im November 1989 richtete die SPD nun erstmals eine große Anfrage zum Thema Frauenforschung an den Bundestag, deren Forderungskatalog ,,fast alles enthält, was Frauenforscherinnen in der Bundesrepublik in jüngster Zeit gefordert hatten" (taz). Bonn ist die richtige Adresse: Denn der Bund, der gemeinsam mit den Ländern zum Beispiel die Max-Planck-lnstitute finanziert, hat sich bisher bei der Förderung der Frauenforschung vornehm zurückgehalten. Es geht also weiter voran mit der "Frauenforschung", wenn auch nur mühsam. Bleibt die Frage: Was ist das eigentlich, Frauenforschung? "Frausein allein ist noch kein Programm!" schrieb 1984 Alice Schwarzer in einer Schrift des ,,Hamburger Instituts für Sozialforschung". Sie, die zehn Jahre zuvor im soziologischen Fachbereich in Münster selbst eines der ersten (gemischten) Frauenseminare angeboten hatte, stellte klar: "Die Tatsache, dass Frauen zu Frauenfragen forschen, will nicht zwangsläufig etwas besagen, will nicht heißen, dass es sich hier um feministische Forschung handelt."
Feministische Forschung ist mehr als nur Forschung von Frauen über Frauen. Sie richtet ihren Blick auf Frauen und Männer und die Strukturen, in denen beide leben. Ihre zentrale Aufgabe ist die Analyse des Patriarchats. Das heißt, feministische Forschung fragt nach den Ursachen für das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern und nach den Mitteln, mit denen es aufrechterhalten wird. Sie dokumentiert die Realität der Frauen und ihren Kampf um Menschenrechte, und Frauen und ihren Kampf um Menschenrechte, und sie begreift sich selbst als Teil dieses Kampfes. Es gibt also durchaus einen Unterschied zwischen der "Frauenforschung" im CDU-Institut und der autonomer Feministinnen.
Unter dem Etikett "Frauenforschung", so warnte Schwarzer 1984, verstecke sich oft "nicht nur Feministisches, sondern auch Reformistisches und eindeutig Reaktionäres". Auch innerhalb der autonomen feministischen Forschung auf "Veranstaltungen wie der alljährlichen West-Berliner "Sommeruniversität für Frauen", auf der zeitweilig mehr von Trancen, Sternkreiszeichen und Tarotkarten geredet wurde als von Wissenschaft".
Und heute? Die Tarotkarten und Trancen haben weitgehend ausgedient. Aber wechselnde "Modetheorien" von fragwürdigem feministischem Gehaltziehen nach wie vor Scharen von Jungakademikerinnen (und manche alt gediente Kämpferin) in ihren Bann. Eine Zeitlang stand die "Bielefelder Schule" um Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof (heute Innsbruck) mit ihrem Lob der "Subsistenzwirtschaft" hoch im Kurs - einer modernen Variante des alten "Zurück zur Natur!". Dann war die "Mittäterschaft" angesagt: Studentinnen rannten der Berliner Pädagogin Christina * Thürmer-Rohr den Hörsaal ein, die die (angeblich neue) These aufstellte, dass "die Frau als Mitagierende im Geschlechterverhältnis an den .normalen' Machttaten des Mannes beteiligt ist". Und zur Zeit ergötzt die Zeitgeist-Akademikerin sich an der ,,sexuellen Differenz", die via Frankreich und Italien über uns gekommen ist und doch nichts anderes bedeutet als die uralte These vom "kleinen Unterschied" in neuem Gewande.

Was macht diese neueste Modetheorie der Frauenforschung so verlockend? Vielleicht die Hoffnung, dass sie mehr als alles andere mit der "eigenen Identität", der ,,eigenen Praxis" der studierenden Frauen zu tun habe? Denn im Gegensatz zu mancher eher exotischen Blüte der inzwischen wild wuchernden Frauenforschung (wie "Frauen und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert" oder "Der narrative Rhythmus de rDaytimeSoapOpera als Zeitkorsett im weiblichen Alltag") versprechen die Italienerinnen immerhin Antworten auf die tatsächlichen Alltags-Fragen. Vor allem das, was sie "affidamento" nennen - das "Sich-Anvertrauen" zwischen Frauen, zwischen Lehrenden und Lernenden - das scheint eben lange Zeit nicht mehr stattgefunden zu haben, seit Frauenforschungsseminare keine Selbsterfahrungsseminare mehr sind. Kein Wunder, dass da Sehnsüchte wuchern... Sapphos Frauenschule ist weit.
Und leider hat sich die von Studentinnen erkämpfte Frauenforschung in den 15 Jahren ihrer Existenz zum Teil vom Leben der Studentinnen weit entfernt. So weit, dass es ihnen heute oft schwerfällt, die gewonnenen Erkenntnisse auf sich selbst anzuwenden. So nimmt die sexistische Gewalt an den Universitäten ständig zu. Doch wer entwickelt (wie in den USA längst geschehen) Vorbeugungs- und Hilfsprogramme dagegen? So wird über die Probleme von "Müttern in der Wissenschaft" bei uns viel geredet. Aber wann werden (wie in der DDR längst selbstverständlich) Krippen und KiTas an den bundesdeutschen Unis eingerichtet? Und es wuchert wieder das altbekannte, einschüchternde, pseudowissenschaftliche Sprachbrimborium. Aber welche Feministin kann es heute noch wagen, laut an der Uni zu sagen, dass Sprache auch Herrschaft sein kann und dass feministische Wissenschaft sich dem Leben und der lebendigen Sprache stellen muß?
Was die Schweizer Frauenforscherin Renate Klein in der Februar-Emma über die internationale Frauenforschung schrieb, das gilt leider für die bundesdeutsche ganz besonders: "Der Zusammenhang von Theorie und Praxis beginnt sich auf die Seite der Theorie zu verschieben. Praxis ist out, Strategiediskussionen sind out, und demzufolge ist auch action out…" Die tapferen Studentinnen, die den Kampf gegen das Patriarchat in und außerhalb der Uni auch nach 15 Jahren noch nicht aufgegeben haben, sind ganz ihrer Meinung. Beider "Offenen Frauenhochschule" im Herbst 1989 ergriffen einige von ihnen das Mikrophon und hielten eine flammende Rede gegen den modischen "Postfeminismus" der arrivierten Frauenforscherinnen, die hier wie beim eingangs beschriebenen Frankfurter Kongress den Ton angaben. "Ziel der feministischen Forschung und Lehre", erinnerten sie, "ist noch immer die Aufhebung von Frauenunterdrückung, von Ausbeutung und Gewalt - und nicht das bloße Studium dieser Phänomene."

Bücher zum Weiterlesen: Karin Hausen, Helga Nowotny (Hg.):,, Wie männlich ist die Wissenschaft?", Suhrkamp. Luise Pusch (Hg.): "Feminismus. Inspektion der Herrenkultur", Suhrkamp. Anne Schlüter, Annette Kühn (Hg,): "Lila Schwarzbuch - Zur Diskriminierung der Frauen in der Wissenschaft", Schwann. Wilma Mohr: "Frauen in der Wissenschaft", Dreisam. Ministerium für Wissenschaft und Forschung NRW: Frauenforschung - Dokumentation, 1988. Verein zur Förderung der Frauenakademie München/Friedrich-Ebert-Stiftung: "Frauenforschung und Frauen in der Forschung", Profil. Ellen Hilf, Eva Mädje (Hg.): "Zeit und Geld für Frauenforschung", Edition Gato.

"neben widerspruch"

Und dann kommst du an die Uni, und du fühlst dich richtig gut, hast die Schule endlich fertig und hast richtig 'n bisschen Mut: dass jetzt alles anders wird, daß jetzt alles besser wird, weil du 'n bißchen schlauer wirst, weil du endlich Durchblick kriegst.

Aber schon zwei Wochen später hast du 'n dicken Frust im Bauch. Alles läuft total chaotisch, und alleine biste auch. Alle wollen richtig ackern, alle woll'n den Marx verstehen, alle steh 'n in Konkurrenz - und du willst am liebsten gehn.

Alle spucken große Töne, wer viel quatscht, wird anerkannt, nur du kriegst den Mund nicht auf und sitzt schweigend an der Wand. Mehrwert, Ware, Preis, Profit - alle blicken völlig durch, und dein Freund schläft mit 'ner ändern, und du hängst mal wieder durch.

Und in deiner Arbeitsgruppe kriegst du langsam auch die Wut, da bist du ne nette Puppe, aber tippen kannste gut. Und du fühlst dich als Versager, depressiv und ganz schön klein,vielleicht sollst du 's Studium stecken - welchen Weg schlägst du dann ein.'

Doch am nächsten Tag im A-Kurs kommt plötzlich der große Knall: eine Frau fängt an zu fragen, was der ganze Kurs denn soll. Und sie schreit: Was soll die Scheiße? und wird furchtbar emotional, und sie fängt fast an zu heulen, und das trifft dich ganz brutal.

Alle sitzen mm und staunen, dann zerreden sie 's im Nu, und du weißt, die Frau hat recht, und du lächelst ihr mal zu. In der Pause gehst du rüber, du bewunderst ihren Mut, und sie sagt, das war Verzweiflung, und ihr redet richtig gut.

Vielleicht macht ihr 'ne Arbeitsgruppe, und da stellst du plötzlich fest', eure Gruppe dauert Stunden, weil so viel zu reden ist: Übers Studium, übers Wohnen, übers Vögeln, über dich, und dein ganzes Denkgebäude wankt und seh wankt, verändert sich.

Liegt dein Versagen an der Uni überhaupt in deiner Schuld? Oder gibt es da Strukturen ? Du denkst und fragst voll Ungeduld. Und die andere erklärt, das läge an der Männermacht, du zweifelst, und du denkst, das sei unpolitisch, unbedacht.

Doch rund um dich rum die Uni ist ein Männer-Denkverein, von den Frauen hörst du kaum was, wenn, steigt keiner darauf ein, Und sie denken, und sie grübeln, und sie abstrahieren nur, und das Leben, wie du 's kennst, kommt darin überhaupt nicht vor.

Wie du lebst und wie 's dir geht, ist kein Thema für ein Seminar. Denken und sich selbst verleugnen, das ist Wissenschaft. Na klar? Über Kapital und Arbeit liest du jedes schlaue Buch. Hörtest du je was von Frauen? Sind wir NEBENWIDERSPRUCH?

Aus der Berliner Frauen-Uni-Zeitung "Nebenwiderspruch", 1976
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