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Mai Zetterling

Verfasst von: Schwarzer, Alice info
in: EMMA
1988 , Heft: 3 , 16-22 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1988-3-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Schwarzer, Alice info
In: EMMA
Jahr: 1988
Heft: 3
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Mit 35 sagte sie sich: "Entscheidend ist der Wille, es zu tun." Sie machte einen "Fünf-Jahres-Plan". Und in der Tat: Zwei Jahre später erhält das Ex-Slumkind aus Stockholm, die einstige Verkäuferin und spätere (Film) Schauspielerin Mai Zetterling in Venedig den begehrten ,,Goldenen Löwen": für die Regie bei ihrem ersten Kurzfilm "The War Garne" (Kriegsspiele). Das war 1963. Ein Jahr darauf eröffnet ihr erster Spielfilm, "Liebende Paare", die Filmfestspiele von Cannes. Er erzählt die Geschichte von drei Frauen verschiedenster Herkunft und Temperamente, die im Krankenhaus auf ihre Entbindung warten und sich erinnern... Der Film bekommt das Etikett "Frauenfilm" zu einer Zeit, zu der es den Begriff noch gar nicht gibt (und der auch noch nicht so reduzierend ist). Gleichzeitig heißt es, "Zetterling führt Regie wie ein Mann" (was auch immer das meinen mag).

Weitere zwei Jahre später spricht die ganze Film weit, von Hollywood bis Paris (Berlin gab es damals noch nicht), von "Nattlek" ("Verbotene Spiele"), dem zweiten Spielfilm der Zetterling. Er hat im September 1966 in Venedig Premiere: "Mehr als 200 Polizisten hatten den Zugang zum Festivalkino auf dem Lido hermetisch abgeriegelt", berichtet die Presse."Niemand ausderschau-lustigen Menge, der nicht den Presseausweis vorweisen konnte, hatte Zutritt. Noch vor Beginn des Films führten die Polizisten eine Razzia durch: sie wiesen alle Journalisten aus dem Saal, die eine Kamera bei sich hatten." Die Zensur hatte zugeschlagen. Denn Zetter-lings "Nattlek" ist zu der Zeit eine noch größere Provokation als Bergmans "Schweigen": Sie zeigt eine Geburt, auch noch eine Totgeburt, die zur Orgie ausartet, und eine Inzest -Szene zwischen Mutter (Ingrid Thulin) und Sohn. Die Zensoren schwärzen Programmhefte und Filmplakate. "Skan- dal"schrien die einen,,,genial" die anderen. Die Kritik feiert den,,ersten großen Regisseur der Nach-Bergman-Ära". Genau 20 Jahre später, 1986, hat wieder ein Film von Mai Zetterling auf dem Lido Premiere: "Amorosa", der wohl reifste und vielleicht gewagteste Film der Regisseurin. Wieder sind Sexualität, Dekadenz, Macht und — das Frausein in einer Männerwelt zentrale Themen. Wieder verblüfft die Schwedin durch ihren traumsicheren Umgang mit den verschiedenen Welten: Gegenwart, Erinnerung und Phantasie verschmelzen zu einer barocken und bedrückenden, phantastischen und klarsichtigen Bilderwelt zugleich. Die Heldin von,, Amorosa" ist die in Skandinavien auch heute noch berühmte und zu Lebzeiten skandalumwitterte Agnes von Krusenstjerna (1892— 1940). Sie ist nicht zufällig Zet-terlings Heldin (auf ihren Kurzgeschichten basierte auch deren erster Spielfilm: "Die Liebenden"). Auch für Krusenstjerna waren Sexualität, Kreativität und Weiblichkeit existentielle Themen. Auch sie war eine Tabubrecherin, bäumte sich auf gegen Zwänge: "Ich bin lebendig geboren und will lebendig sterben." — Sie starb in der Psychiatrie. Mai Zetterling lebt. Und sie ist, nach langem Schweigen, erneut auf der Höhe ihrer Möglichkeiten. Das beweist "Amorosa' '. Aber man tut, als sei sie tot. Sicher, einige Insiderinnen und Kennerinnen merkten auf, aber eigentlich lief und läuft ihr letzter Film unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Nur: Diesmal mußten keine* 200 Polizisten das heranstürmende Publikum stoppen. In Venedig ging "Amorosa" leer aus, und in der Bundesrepublik läuft der Film von der Kritik quasi unbeachtet und nur in einigen wenigen — entsprechend schlecht besuchten — Vorstellungen in Programmkinos der Cinematheken. Was ist passiert? Warum feiert die unter avantgardistischen Kassenfüllern nicht gerade zusammenrechende Filmbranche nicht das wiederauftauchende Talent? Weil Zetterling eine Frau ist? Ja. Weil sie fast 20 Jahre lang keinen großen Spielfilm gemacht hat? Auch. Aber da ist noch etwas: den letzten Spielfilm, den, den sie vor"Amorosa" und nach "Verbotene Spiele" gedreht hat, den hat man ihr nicht verziehen. Bis heute nicht.

Denn der verstieß nicht nur gegen die Sitten, der verstieß auch gegen die Spielregeln. Und zwar gegen die Spielregel, die besagt, daß eine Frau, die schon die Ehre hat, in den erlauchten Männerreihen mitmischen zu dürfen, nicht auch noch gegen die Schienbeine derselben tritt. — Doch genau das hat Mai Zetterling getan. Und das zu allem; Überfluß auch noch recht allein, ein paar Jahre zu früh. Also nicht flankiert von wütenden Schwestern...

Die Rede ist von ihrem Film "Girls", der 1968 in Stockholm Premiere hatte und einmütig von der schwedischen Presse als "völlig daneben" verrissen wurde, denn: "Solche Probleme haben wir hier in Schweden nicht." Welche Probleme? Die mit den Frauen. Und den Männern. Genauer: die der Frauen mit den Männern.

Die Story von "Girls" ist rasch erzählt: Eine Theatergruppe reist mit "Lysistrata" durchs schwedische Hinterland. Die drei Hauptdarstellerinnen (darunter Harriet und Bibi An-dersson) nehmen die Geschichte von den friedens- und emanzipationssüchtigen Frauen, die ihren sich bekriegenden Männern den Beischlaf verweigern, zunehmend für bares Leben und spielen sie auch noch nach der Vorstellung. Herausgekommen ist dabei ein Film, der auch noch nach 20 Jahren die volle Kraft des Aufbruchs, der Freude, der Wut und des Übermutes, also die Power der ganz frühen Frauenbewegung hat. Es ist die Art von Film, nach der frau — auch noch heute — Bäume ausreißen und Revolution machen könnte, zumindest aber sich stantepede einen doppelten Whisky bestellt! (Ich kann das bezeugen, ich habe den Film damals wie heute gesehen und jedesmal einen doppelten Whisky bestellt.)
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