Artikel

Warum ist es am Rhein so schön? : Weil die lila Girls & die rosa Jungs sogar Kardinal Meisner blass werden lassen - vor Neid versteht sich

Verfasst von: Louis, Chantal
in: EMMA
2002 , Heft: 4 , 54-58 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:2002-4-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Louis, Chantal
In: EMMA
Jahr: 2002
Heft: 4
Beschreibung: Ill.
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands); SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands); FDP (Freie Demokratische Partei); European Pride Organisers Association (EPOA)
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:
    WARUM IST ES AM RHEIN SO SCHÖN? WEIL DIE LILA GIRLS & DIE ROSA JUNGS SOGAR KARDINAL MEISNER BLASS WERDEN LASSEN-VOR NEID, VERSTEHT SICH.

    Drei Wochen lang schlagen die Wogen in Köln ganz hoch. Nicht weil der Karneval in den Sommer verlegt worden wäre, sondern weil sich die jecke Community die Ehre gibt. Zum zwölften Mal feiert Deutschlands heimliche Homo-Hauptstadt (neben Berlin versteht sich) den Homo-Kampf- und Fun-Tag CSD. Und zum ersten Mal richten die rheinischen Lesben und Schwulen auch den Euro-Pride aus, der zum Höhepunkt am 7. Juli quer durch die Stadt über den Rhein zum Dom ziehen wird. 60.000 Aktivistinnen und eine Million Partizipantinnen erwarten die lila-rosa Veranstalter im schwarzen Köln. Anlass genug für Chantal Louis, sich in ihrer Wahlheimat Köln und der ihr wohlvertrauten Szene mal noch genauer umzusehen - und den Geschichten zuzuhören. Von heute und damals. Als Lesben noch ignoriert und Schwule verhaftet wurden. Als Polit-Lesben noch die Nase rümpften über die Sub-Damen und umgekehrt. Bis hin zur heutigen Vielfalt inklusive Coming-Out- und Eltern-Gruppen im schwul-lesbischen Jugendzentrum "anyway". Auf etwa 100.000 schätzt die Kölner Community die ihren, organisiert in 74 einschlägigen Vereinen und amüsiert in 65 einschlägigen Lokalen. Am 15. Juni startete das lesbisch-schwule Vergnügen - und geht bis zum 7. Juli. Infos in allen Farben: www.europride.de, www.schulz-cologne.de, lesbische+schwule Stadtführungen: www.frauengeschichtsverein.de, www.csgkoeln.de

    Endlich. Nach drei Wochen kommen sie am 7. Juli kollektiv zum Höhepunkt. Fünf Stunden lang auf 140 Wagen, auf denen alles, was die Homo-Hauptstadt am Rhein an "Diversity" zu bieten hat, "Kölle Aloha" schmettert: die lesbischen Lehrerinnen und die schwulen Manager, die Binationalen Paare und die Bisexuellengruppe "Uferlos", der "Schwule Landadel" und der "Lesben-Stammtisch Düren". Undundund.

    Zwölf Uhr mittags, High Noon. Der Europride-Zoch kütt. Unter Gejubel und Getriller euphorisierter Zuschauerinnen am Straßenrand rollt die Parade vom anderen (Rhein-) Ufer über die Deutzer Brücke in die Kölner Altstadt geradewegs zum Kölner Dom. Vorbei an Schaufenstern, in denen - homo- wie heterosexuelle - Ladenbesitzerinnen, vom Friseur bis zum Metzger, die Regenbogenfahne gehisst haben. Auf dem Rathaus weht sie sowieso. "Cologne celebrates Diversity" - Köln feiert Vielfalt" heißt das Motto des diesjährigen Europride, der dieses Mal in Köln zelebriert wird. Und das lässt sich die "Gay Community" der rheinischen Homo-Metropole nicht zweimal sagen.

    Im Schatten des ehrwürdigen Doms ziehen die Wagen und Fußgruppen vorbei: der "Arbeitskreis lesbischer und schwuler Polizeibediensteter" in Uniform, die "Gay Manager" in Nadelstreifen. Die Türkinnen von "TürkGay" im orientalischen Tausendundeinenacht-Outfit oder ERMIS, die schwul-lesbischen Griechinnen, in Toga unter antiken Pappmache-Säulen. Auch alle Parteien paradieren, inclusive der "Lesben und Schwulen in der Union", der FDP, deren Kölner OB-Kandidat Frank Sterck sich vor der letzten Wahl outete, und der "Regenbogenliste", deren (zugegebenermaßen aussichtslose) OB-Spitzenkandidatin Maria Rohlinger früher mal ein Mann war.

    "Ilse", die "Initiative lesbischer und schwuler Eltern" schiebt ein Geschwader Kinderwagen vor sich her, deren Insassen zumeist in holländischen Samenbanken gezeugt wurden. Es folgt die Gruppe der homosexuellen Mitarbeiterinnen des Kölner Automultis Ford, in dessen Personalabteilung seit kurzem ein "Diversity-Manager" darüber wacht, dass unter den Neuangestellten auch genügend homosexuelle Frauen und Männer sind. Kölns Homo-Sportverein, der SC Janus, wird angeführt von den "Pink Poms", den schwulen Cheerleadern mit schwarzen Lederhöschen und rosa Puscheln. Beste Stimmung herrscht auf dem Wagen von "Joia", Kölns erster lesbisch-schwuler Sambagruppe, weiter hinter jubilieren die "Zauberflöten".

    Schon seit dem 15. Juni herrscht in der Domstadt Ausnahmezustand: Homosexuelle Gottesdienste werden abgehalten, schwul-lesbische Marathonläufe absolviert, und im "Phantasialand" gibt es den ersten "Gay Family Day". Denn Köln ist in diesem Jahr nicht nur Schauplatz des üblichen Christopher-Street-Day: Seit 1992 ernennt die "European Pride Organisers Association" jährlich eine europäische Metropole zur Homo-Hauptstadt. London war 1992 die erste "Gay Capital", es folgten unter anderem Amsterdam, Paris und - trotz des protestierenden Papstes - Rom. In diesem Jahr ist die Wahl auf Köln gefallen.

    Und darum ist alles, was sich in diesen Wochen abspielt, Rekord: Die eine Million Zuschauerinnen, die aus dem ganzen Kontinent angereist sind, die 60.000 Teilnehmerinnen der Parade, die mit ihren 140 Wagen den Rosenmontagszug jetzt endgültig getoppt hat. Und auch die Anteilnahme der Polit-Prominenz ist bahnbrechend - wozu die Tatsache, dass demnächst Wahlen sind, beitragen dürfte. Ein hochrangiger Heterosexueller fliegt aus Homo-Hauptstadt Nummer zwei ein: Außenminister Fischer hält auf der zentralen Kundgebung am 7. Juli die "politische Hauptrede" - als erster deutscher Vizekanzler überhaupt. Und Kanzler Schröder verfasste höchstselbst das Grußwort zur Europride-Broschüre - nicht ohne daraufhinzuweisen, dass dank seiner rot-grünen Regierung jetzt auch homosexuell geheiratet werden darf. Noch vor vier Jahren hätte man sich das Duo Kohl/Schäuble trotz Wahlkampf nicht auf so einer Veranstaltung vorstellen können.

    Aber das Hissen der Regenbogenflagge ist heute keine Frage von Parteizugehörigkeit mehr. Das zeigt auch die Tatsache, dass CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma (Foto links unten) nicht annähernd so viele Berührungsängste hat wie noch seine SPD-Vorgänger Norbert Burger und Lothar Ruschmeier. Gleich nach Amtsantritt anno 2001 hielt der katholische Familienvater als erster OB die Eröffnungsrede zum CSD. In diesem Jahr stellte das Stadtoberhaupt gar einen Mitarbeiter für Europride-Fragen ab. Und der Stadtvater wies die Kölner Kirchenväter in ihre Schranken, als diese - ganz wie anno 2000 der Papst in Rom - verhindern wollten, dass das "Pride Village" seine sündigen Info-Stände ausgerechnet vor den Pforten des heiligen Doms auf dem Roncalliplatz aufschlägt. Seine zehn Prozent homosexuellen Mitbürgerinnen werden es ihm danken.

    Zu toppen ist so was nur noch von einem Bürgermeister, der selber homosexuell ist. So ein Wowereit bringt mindestens 100 Punkte im Wettstreit, den Köln und Berlin um den Spitzenplatz "Homo-Hauptstadt Nummer 1" austragen. Immerzu hat Berlin angeblich mehr: Noch mehr als die in Köln geschätzten 100.000 homosexuellen Einwohnerinnen, mehr als 65 einschlägige Lokale, mehr als 74 einschlägige Vereine. Berlin prahlt zudem penetrant mit den 20ern, aber die sind ja schon etwas länger her. Köln wirft dafür aktuell reichlich Promis aus der Medienwelt in die Waagschale - und kann zudem mit etwas nicht quantifizierbarem aufwarten: seiner Lebensphilosophie. Statt Berliner Raubeinigkeit und Coolness herrschen in der Domstadt rheinischer Frohsinn ganz nach den Kölner Motti: "Lewe und Lewe lasse" oder "Jeder Jeck es anders".

    Fakt ist: Die Kölnerinnen lieben ihre Stadt. Und weil Lokalpatriotismus vor der sexuellen Orientierung nicht Halt macht, lieben folgerichtig auch die Kölner Lesben und Schwulen ihre Stadt. Fakt ist aber auch: Homosexuelle sind in den letzten Jahren mit Siebenmeilenstiefeln Richtung Gesellschaftsfähigkeit gesprintet - nicht nur in Köln oder Berlin, sondern auch in Flensburg und Passau.

    Die Kölner Homosexuellen jedenfalls lieben ihren Regierungspräsidenten Jürgen Roters, der seinen Italienurlaub unterbrach, um am 1. August 2001 eigenhändig die ersten Frauen- und Männerpaare zu trauen. Sie lieben ihr Boulevardblatt "Express", das, als der Karnevalsverein Rodenkirchen seine (männliche) Jungfrau wegen Homosexualität aus dem Dreigestirn entfernte, die Jungfrau und ihren hübschen Bäckerlehrling auf Seite eins platzierte. Titel: "Sind sie nicht ein süßes Paar?" Den homophoben Karnevalisten blieb schließlich nichts anderes übrig, als die Jungfrau wieder in Dienst zu nehmen.

    Genau 30 Jahre früher tönte derselbe "Express" noch ganz anders: "Verführer lauern in 24 Lokalen" warnte das Boulevard-Blatt angesichts der Tatsache, dass es nach Erkenntnissen der Polizei anno 1965 zwei Dutzend Kneipen gab, in denen sich schwule Männer trafen. "Mit wachsender Sorge" beobachtete das Jugendamt nach den finsteren fünfziger Jahren "das Treiben homosexueller Personen. Gaststätten, die als Treffpunkte gleichgeschlechtlicher Personen in Frage kommen, entstehen in wachsender Zahl." Und das sollte nach dem Willen des Jugendamts auf keinen Fall so bleiben: "Umfassende Maßnahmen zur Verminderung dieser Treffpunkte sind geplant."

    Es war die Ära des § 175. Nicht nur beweisbar vollzogener Geschlechtsverkehr zwischen Männern, sondern schon der Aufenthalt in einschlägigen Lokalen war laut Gesetz verboten und wurde mit Gefängnis bestraft, manchmal auch mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte - oder der Einweisung in eine "Heilanstalt". Der Paragraph stammte noch aus Nazizeiten, in denen Homosexualität nicht nur Ehre und Freiheit, sondern sogar das Leben kosten konnte. 100.000 homosexuelle Männer verschwanden, gebrandmarkt mit dem "Rosa Winkel", zwischen 1933 und 1945 im KZ, das viele nicht überlebten. Wievile Kölner darunter waren, darüber sind fast alle Spuren verschüttet. Allein bei einer Razzia, die die Kölner Polizei 1938 in der Trankgasse machte, wurden über 50 Männer verhaftet - und deportiert.

    Nach 1945 wurde der Paragraph unverändert ins Strafgesetzbuch des demokratischen Deutschland übernommen. Knapp 5.000 Männer landeten in der Homosexuellenkartei der Kölner Polizei. 40 Jahre bevor Oberbürgermeister Schramma im Jahr 2002 die Lesben und Schwulen seiner Stadt auf dem Europride willkommen heißt, forderte der erste Kölner SPD-Bürgermeister, Theo Burauen, noch die Verfolgung "homosexueller Umtriebe" ein - und das "meinetwegen in brutaler Form".

    Neben dem § 175 waren in Köln weitere Verordnungen in Kraft: So durften Männer in der Öffentlichkeit nur dann mit Männern tanzen, wenn einer von ihnen Frauenkleider anhatte - zum Beispiel an Karneval. Die Frauen zugeneigten Frauen tanzten zu diesem Zeitpunkt - wie auch immer gewandet - überhaupt nicht. Auch wenn ihnen die Verfolgung durch den § 175 immer ersparr geblieben war, weil ihre Sexualität schlicht nicht ernst genommen wurde - von einer "Infrastruktur", wie die Männer sie hatten, konnten die homosexuellen Frauen nur träumen. Wo heutzutage jede Woche mehrere Hundert Lesben zu "Women Pleasure Party" oder "Ladies Night" im Stollwerck oder Gloria antanzen, gab es in den 60ern für die Damen "vom anderen Ufer" kein einziges "Frauenlokal". Nur im "Cafe Wüsten" fand sich damals die eine oder andere der Heterosexualität unverdächtige Dame ein. Aber in dem Lokal an der Hohen Pforte tummelten sich reichlich Zuhälter und Waffenschieber. Das wüste Cafe war also nun wirklich nicht jederfraus Sache. Ende der 60er macht nicht nur die Frauenbewegung, sondern auch die sexuelle Revolution von sich reden. Am 28. Juni 1969 verbarrikadieren sich in der New Yorker Christopher Street Schwule und Lesben im Homolokal "Stonewall", als die Polizei dort wieder eine Razzia machen will - allen voran dreschen die Tunten, die Männer in Frauenkleidern, mit ihren High-heels auf die Ordnungshüter ein. Der Protest in der Christopher Street schlägt Wellen bis Europa - und bis Köln.

    In Deutschland hat die sozialliberale Koalition gerade den § 175 abgeschafft. "Und dann", erzählt Alfred Schiefer, "explodierte Köln. Da wurde an jeder Ecke ne Kneipe aufgemacht!" Aber die Homosexuellen wollten nicht nur Kneipen, sondern auch Rechte. Alfred, der heute 71-jährige Homo-Aktivist, gehört zusammen mit seinem Gatten Ludwig Rubruck zum Kölner Szene-Inventar. Damals gründete er mit "meinem Ludwig" und einer Handvoll anderer Männer nach amerikanischem Vorbild die "gay liberation front", kurz: glf. Während sich im "Pimpernel", Kölns größter Schwulendisco, die eine Fraktion im Lederkeller vergnügt, plant die "Schwule Aktion Köln" im Dachgeschoss die nächste Demo. Und die Lesben? Immer noch unsichtbar.

    Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten geht zur gleichen Zeit aber noch eine zweite Gruppe auf die Barrikaden: die Frauen. Die Zeit ist reif für den Ausbruch aus Rollenzwängen aller Art. So explodiert in Köln nicht nur die Schwulen-, sondern auch die Frauenbewegung. Deren Initialjahr ist nicht 1969, sondern 1971 - das Jahr der spektakulären "Stern"-Aktion: "Wir haben abgetrieben!" Auch in der katholischen Domstadt sammeln engagierte Frauen Unterschriften gegen den § 218. Selbstverständlich, aber heimlich, mit dabei: die Lesben.

    Solche wie Gertraud Müller, eine der Hauptaktivistinnen gegen das Abtreibungsverbot. Gertaud brüllt am § 218-Infotisch am lautesten durchs Megafon - und gibt leise eine Kontaktanzeige auf: "Sie, 28 Jahre, sportlich, kritisch engagierter Typ, sucht Partnerin, mit der sowohl eine ruhige Stunde und eventuell eine politische Arbeit möglich ist." Es melden sich zehn Frauen. Sozialarbeiterin Müller lädt spontan alle auf einmal ein - und gründet so die allererste Lesbengruppe Kölns.

    Die achtköpfige Gruppe, die sich zuerst in Müllers Wohnung trifft und schüchtern "zum ersten Mal über unsere Situation" redet, wächst bald auf über 20 an und will raus aus dem Wohnzimmer. 1973 macht die "Homosexuelle Frauen-Aktion" mit bei Rosa von Praunheims Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt". "So konnten wir vor einem Millionenpublikum sagen, dass es nicht nur die Problematik der Homosexuellen gibt, sondern auch die der Lesbierinnen, die in allen Medien quasi totgeschwiegen wird."

    Die Lesben im Aufbruch sitzen zwischen allen Stühlen: Eigentlich gehören sie zu beiden - zu Homo- und Frauenbewegung. Aber noch kriegen sie in keiner ein Bein auf die Erde: Die Schwulen erweisen sich letztlich als echte Kerle mit dem hinlänglich bekannten Dominanzgebaren. Und die Feministinnen sind nicht frei von Homophobie und fürchten, ihre sowieso schon reichlich mit Häme bedachte Bewegung noch mehr in Verruf zu bringen. Der rund 40-köpfige Lesbenblock auf der ersten bundesweiten "Schwulendemo" 1973 wird von den Herren äußerst skeptisch beäugt. Und als Gertraud Müller ihrer "Aktion 218" vorschlägt, eine lesbische Untergruppe aufzumachen, schreien die heterosexuellen Frauenbefreierinnen Zeter und Mordio. Doch bald schon geraten auch diese Fronten ins Wanken.

    1981 hat auch die "gay liberation front" ihre erste "Frauengruppe", 1985 erobern sich die Lesben im frisch gegründeten Schwulen- und Lesbenzentrum SCHULZ den ersten Samstag im Monat für die erste Lesbendisco Kölns: "Entre nous". Und Hella von Sinnen höchstpersönlich ruft in der In-Schwulendisco "Coconut" den Mittwoch zum Mädelstag aus. Und auch im Frauenzentrum Eifelstraße haben sich die Zeiten geändert: Anfang der 80er "ist de facto das gesamte Orga-Team lesbisch", erzählt Regina Bappert, Orga-Lesbe a.D.. Und auch im Frauenreferat der Uni, dem zweiten Kölner Refugium für die frauenbewegte Frauenliebende, sind zu diesem Zeitpunkt die "Heteras geknickt, dass sie immer noch nicht lesbisch sind".

    Mittlerweile hat auch die so genannte Subkultur, im Szenejargon kurz und schmerzlos "Sub" genannt, einiges für einschlägig liebende Frauen zu bieten. "Candida", "George Sand" oder "Schappo Klack" hießen in den SOern die heute allesamt dem Zeitenwandel zum Opfer gefallenen Lokale. Während die Polit-Les-ben im Frauenzentrum über die Abschaffung des Patriarchats diskutieren, kippen sich hier "unsere Mädchen", wie "Schappo"-Wirtin Jutta noch heute zu sagen pflegt, reichlich Kölsch und Cocktails hinter die Binde. Begegnungen der zwei Gruppierungen fallen in der Regel befremdlich aus und werden nur durch die Bande der Liebe schon mal durchkreuzt.

    Noch heute schäumt die forsche Jutta über den mangelnden Konsumwillen und die Schlabberkleidung der Polit-Fraktion. Die wiederum zog ob der an Patriarchats- analyse komplett desinteressierten "Sub-Lesben" verächtlich die Augenbraue hoch.

    Eine Lesben-Generation später sehen die "Polit-Lesben" schon wieder Grund zum Ärger: Stehen doch die "Jung-Lesben" im Verdacht, mit dem Kampf um Homo- und Frauenrechte genauso wenig am Hut zu haben wie einst die Sublesben. Wenn auch aus anderen Gründen: Statt im glf, dem anno 1973 wg. Entrollen eines HomoTransparents noch der Mietvertrag gekündigt wurde, verkehren die Youngsters heutzutage im städtisch geförderten lesbisch-schwulen Jugendzentrum "anyway". Überhaupt lassen sich die Angebote der "Szene" kaum noch überblicken: Im SCHULZ beraten die Gruppe Schwuler Väter und die "Lesben mit Kinderwunsch" über gleichgeschlechtliche Familienplanung, der Arbeitskreis homosexueller Polizistinnen feiert zusammen mit den schwulen Griechen rauschende Feste, es tagen die Bisexuellen Frauen und Lesben mit Behinderung, von hier aus starten die Klassik-Lesben in die Oper und die schwulen Wanderfreunde in die Eifel.

    "Nur noch in der Hälfte unserer 1.000 Beratungen im Jahr geht es um Probleme mit Diskriminierung", freut sich Stefan Me-schig von der Beratungsstelle im SCHULZ. Immer früher trauen sich die homosexuellen Jungs und Mädels "raus": "Wir haben immeröfter 13-, 14-Jährige am Telefon."

    Wächst also auch in der Gay Commu nity eine Fun Generation heran, die chattet und chill-outet und statt übers Patriarchat nur noch über Partys diskutiert? "Wir sind schon so 'ne Art Fun-Generation", gesteht Ariane Höncke leicht zerknirscht. "Aber das ist doch auch ein Indikator dafür, dass so viel erreicht ist und wir uns wohl fühlen, oder?" Für die 26-jährige Studentin ist nach ein paar Jahren Kölner Szene ihr Lesbischsein eine "SuperSelbstverständlichkeit".

    "Voll die Kluft" hat auch Junglesbe Nicole Otto vom SCHULZ-Vorstand zwischen den Generationen diagnostiziert. "Wenn wir geschminkt sind und ein bisschen feminin und sexy aussehen, werden wir von denen auf den Partys echt schräg angeguckt", mault Nicole. "Dabei haben die das doch für uns erkämpft, dass wir heute rumlaufen können, wie wir wollen. Darauf könnten sie doch stolz sein!"

    Um den Generationen-Graben wieder zu kitten, rief die 26-Jährige im letzten Sommer kurzerhand eine Art lesbisches Mütter-Töchter-Treffen ins Leben. Fun-Generation meets Polit-Pionierinnen. Seitdem treffen sich die Fraktionen zweimal im Jahr zum Generationenplausch. Da unterrichten die Oldies die Youngsters darüber, dass die aktuell grassierende Verwischung der Grenzen zwischen homo und hetero schon eine uralte Forderung der Frauenbewegung war. Die Youngsters versichern dagegen den Oldies: Wenn der Ernstfall eintritt, ist auf die Fun-Lesben Verlass. "Sobald die unsere Rechte beschneiden", sagt Ariane, "werden wir auch wieder aktiv!"i

    Und das kann schnell gehen. Nicht nur, weil Stoiber vielleicht Kanzler wird. Sondern auch, weil Köln nicht nur eine Homo- Hauptstadt, sondern auch eine Hochburg der islamischen Fundamentalisten ist, die Homosexuelle in ihren Heimatländern zu steinigen pflegen. Und auch, weil in diesem Jahr zum ersten Mal die rechtsradikale Aktion "Pro Köln" zur Gay-Parade eine Mahnwache angekündigt hat.

    17 Uhr. Der Zoch kütt immer noch. Unter Gejubel und Gejohle der homo- wie heterosexuellen Zuschauerinnen rollen die Wagen durch die Kölner Altstadt Richtung Dom: die Senioren von "Gay & Grey" und das "Jugendnetzwerk Lambda", die "Leather Men" und die "Women Pleasure Party", die Jüdinnen von "Yachad", die Christinnen von HUK - "Homosexuelle und Kirche".

    Übrigens feiert der Kölner CSD in diesem Jahr 20-jähriges Jubiläum. Am 26. Juni 1982 zog die erste CSD-Demo durch die Stadt: 500 Lesben und Schwule marschierten damals durch die Mathiasstraße - sehr leise, aber dafür unter lauten Beschimpfungen der angewiderten Passantinnen. Heute sind nicht nur Homos, sondern auch massenhaft Heteros zum Paradegucken angereist, lassen ihre Videokameras surren und schmettern den Vorbeirollenden ein fröhliches "Kölle Aloha" entgegen. Und eigentlich wollen die Heteros schon gar nicht mehr, dass der Homo-pride ohne sie stattfindet. Siehe Wagen Nr. 127: "Die 1. Quotenheten".
    Chantal Louis
    Gesamten Bestand von FrauenMediaTurm anzeigen

    Kontext

    wird geladen...

    Standort

    Frauenmediaturm – Feministisches Archiv und Bibliothek

    Bayenturm / Rheinauhafen
    50678 Köln
    Telefon: +49 (0)221 931 88 10
    Öffnungszeiten
    Mo-Fr. 10-17 Uhr, nach Voranmeldung. Die Anmeldung kann telefonisch, per Mail oder über das Kontaktformular erfolgen. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei

    Ich stimme der Nutzung von Google Maps zu.

    Ähnliche Einträge