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Endlich passiert was in Deutschland : der Anti-Brustkrebs-Monat Oktober 2001 verspricht heiß zu werden ; denn nach jahrelangen Protesten der Frauen werden jetzt endlich auch die Expertinnen und Politikerinnen in Deutschland aktiv gegen den "Genozid an Frauen"

Verfasst von: EMMA
in: EMMA
2001 , Heft: 5 , 22-24 S.

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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:2001-5-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: EMMA
In: EMMA
Jahr: 2001
Heft: 5
Beschreibung: Ill.
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Endlich passiert was in Deutschland

Der Anti-Brustkrebs-Monat Oktober 2001 verspricht heiß zu werden. Denn nach jahrelangen Protesten der Frauen werden jetzt endlich auch die ExpertInnen und Politikerinnen in Deutschland aktiv gegen den "Genozid an Frauen".

Wenn am 20. Oktober tausende von Frauen durch das Brandenburger Tor Unter den Linden raufmarschieren und Plakate von Frauen hochhalten, die von der Taille bis zum Hals nackt zu sehen sind, dann ist das keine frivole, sondern eine sehr ernste Sache. Denn es geht um den Kampf gegen den Brustkrebstod, dem allein in Deutschland 18.000 Frauen im Jahr erliegen. Und jedes Jahr erkranken 47.000 Frauen neu. Im letzten Jahr war es noch ein Häufchen von rund tausend Frauen, die da lautstark protestierten ("Fordern statt Dulden!"), diesmal werden es wohl viel mehr sein, und vor allem: Der Protest geht durchs ganze Land. In Frankfurt zum Beispiel starten am 20. September über 5000 Frauen zu einem "Race for the Cure!" (Rennen fürs Heilen). Die Deutschen rennen wie in Amerika, wo inzwischen über eine Million Frauen im Anti-Brust krebs-Monat Oktober um ihr Leben laufen.

Und endlich hat der Protest gegen diesen "Genozid an Frauen" - der von der EMMA-Berichterstattung seit 1996 ausgelöst worden war - auch die erreicht, die handeln können und müssen: Am 28. Juni 2001 haben die Fraktionen von SPD und Grüne einen gemeinsamen Antrag auf die "Einführung eines flächendeckenden Mammografie-Screenings" eingebracht, der voraussichtlich im Herbst vom Bundestag beschlossen wird. Die Unionsfrauen hatten schließlich schon im Oktober letzten Jahres "ein flächdeckendes, qualitätsgesichertes und fachübergreifendes Brustkrebs-Früherkennungskonzept auch ohne Vorliegen von Symptomen!" gefordert.

Gesundheitsministerin Schmidt erkannte den Handlungsbedarf: Sie lud im Juli Aktivistinnen und Expertinnen zu einer Tagung über "Mam-mografie und Brustkrebsvorsorge" und kündigte für ganz Deutschland das von vielen seit Jahren dringlich geforderte Screening, eine qualifizierte Röntgen-Reihenuntersuchung zur Früherkennung von Brustkrebs an. Mit den systematischen Mammogra-fien, denen sich jede Frau ab 50 alle zwei Jahre unterziehen sollte, könnten "jährlich mindestens 4.000 Frauen gerettet werden", hofft Ministerin Schmidt.

Da die neue Gesundheitsministerin jüngst die längst überfällige Abteilung "Frauen und Gesundheit" kurz nach Antritt in ihrem Hause eingerichtet hat (siehe EMMA 4/2001), kommt Hoffnung auf: Es scheint endlich ernst zu werden in Deutschland mit dem Kampf gegen den Brustkrebs, der bei Frauen in Deutschland zwischen 35 und 55 die Todesursache Nummer eins ist.

Die Erfahrungen der Nachbarländer zeigen: In Holland, Schweden und England ist die Sterblichkeitsrate in der Altersgruppe von 50 bis 70 dank des Screenings innerhalb weniger Jahre um ein Drittel gesunken. Dort werden Frauen ab 50 regel mäßig zu vorbeugenden Röntgenun-tersuchungen geladen und nicht, wie in Deutschland, erst mammografiert, wenn der Knoten schon ertastet ist. Und es wird auf den bestmöglichen technischen Standard der Röntgengeräte geachtet. Auch muss das Röntgenbild stets von zwei speziell ausgebildeten Radiologinnen ausgewertet werden, um Fehldiagnosen zu verhindern.

In Deutschland ist dieses Konzept gerade erst in der Testphase - was nur dem Druck der Brustkrebs-Initiativen zu verdanken ist. Im Frühjahr starteten in Bremen und Heidelberg die ersten beiden Screening-Modellver-suche. Jüngst folgten Screening-Projekte in Wiesenbaden und im Weser-Eins-Gebiet.

Und auch das Land von Ministerpräsidentin Heide Simonis ist mit von der Partie, allerdings mit einer eigenen Variante. Im Mai startete in Kiel das Projekt "QuaMaDi". Diese Abkürzung steht für "Qualitätsgesicherte Mamma-Diagnostik" und bedeutet: AlleÄrztinnen, die ein Röntgenbild mit Brustkrebs-Verdacht begutachten, lassen noch eineN zwei-teN Radiologen einen Blick darauf werfen. Falls diese zweite Diagnose ein anderes Ergebnis bringt, muss noch einE dritteR hinzugezogen werden. Auch elf Krankenkassen machen mit in Schleswig-Holstein; sie lassen sich von den zwei Millionen Mark Mehrkosten nicht abschrecken und haben verstanden, dass auf lange Sicht frühzeitig erkennen billiger ist als zu spät behandeln.

Das Engagement im Norden für QuaMaDi ist vor allem dem besonderen Engagement von Heide Moser zu verdanken. Die schleswig-hol-steinische Gesundheitsministerin ist persönlich betroffen: "Ich habe selbst Brustkrebs, der erst relativ spät erkannt wurde. Deshalb möchte ich, dass Frauen endlich bessere Früh-erkennungsmöglichkeiten erhalten." Und die Ministerin will über ihr Land hinauswirken: "Wir wollen Druck machen! Inzwischen erkrankt jede achte Frau. Das muss alle alarmieren!" Die NRW-Frauenministerin Birgit Fischer ist schon alarmiert. Sie rief bereits im April dieses Jahres die "Konzertierte Aktion gegen Brustkrebs" ins Leben. Darin schließen sich Ärztekammern, Landeskrebs-gesellschaft und Selbsthilfegruppen zwecks Verbesserung von Früherkennung, Behandlung und Nachsorge zusammen.

Die SPD-Europa-Abgeordnete Karin Jöns verschrieb sich nach ihrer Brustkrebs-Diagnose vor zwei Jahren ganz dem Kampf gegen die Frauenkrankheit: Die 48-jährige Bremerin wurde nicht nur gesundheitspolitische Expertin im Europäischen Parlament, sondern ist seit Mai Präsidentin der deutschen Sektion von "Europa Donna", ein europäisches AntiBrustkrebs-Netzwerk mit 27 Stützpunkten. Motto: Wachsamkeit steigern — Veränderung fördern. Jöns: "In Europa fällt alle 20 Minuten die Diagnose: Brustkrebs." Die SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Kühn-Mengel und gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion schließlich rief die "Plattform Onkologie" ins Leben — einen überparteilichen Arbeitskreis, in dem sich Aktivistinnen, Expertinnen und Institutionen zwecks Informationsaustausch treffen: von der Bundesärztekammer über die Präsidentin der Deutschen Krebshilfe und thüringische Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski bis zur Brustkrebs-Pionieren Helga Ebel von der Krebsberatung Aachen.

Helga Kühn-Mengel ist auch die Initiatorin des Bundestagsantrags, der von der Regierung nicht nur das flächendeckende Mammografie-Screening fordert, sondern auch: die Verbesserung der Ursachenforschung und Patientinnenberatung, höhere Standards für die Behandlung von Brustkrebs und die Einrichtung eines Krebsregisters.

Wenn also am 20. Oktober die Frauen von "mamazone" aus Augsburg oder MUT aus Münster zum zweiten Mal mit dem Ruf "Fordern statt Dulden" durch das Brandenburger Tor ziehen, dann wissen sie: Sie sind nicht mehr allein. Wenige Meter weiter, in den zuständigen Ministerien und Institutionen stapeln sich schon die Papiere und Erkenntnisse — bereit zur Umsetzung in den lebensrettenden Kampf gegen Brustkrebs.
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