Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:2000-1-a
Formatangabe: Vortrag; Dossier
Link: Volltext
Verfasst von: Messaoudi, Khalida
In: EMMA
Jahr: 2000
Heft: 1
Beschreibung: Ill.
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Khalida Messaoudi ist "der Inbegriff von Mut und eine der Galionsfiguren des algerischen Widerstandes" (Elisabeth Ba-dinter). Messaoudi wurde am 12. Juni 1993 von algerischen Gotteskriegern der "Islamischen Heilsfront" zum Tode verurteilt. Die Tochter aus einer streng muslimischen kabylischen Familie schlief jahrelang jede Nacht in einem anderen Bett und lebte aus der Aktentasche; mal in Algerien, mal in Frankreich - und ständig in Gefahr, entdeckt, gefoltert und ermordet zu werden."Inzwischen kann ich wenigstens zwei, drei Monate in einer Wohnung bleiben." Khalida Messaoudi ist eine der Mitbegründerinnen der linksliberalen Partei RCD, für die sie sich 1999 als Wahlkandidatin aufstellen ließ. Seither ist sie Abgeordnete im algerischen Assemblee Nationale -was ihr Leben nicht unbedingt leichter macht. Wir Algerierinnen, Marokkanerinnen, Iranerinnen und Sudanesie-rinnen haben uns zusammengetan, um etwas zu fordern, was im Westen selbstverständlich ist: die Universalität der Menschenrechte, die unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion für alle gelten. In meinem Land jedoch verbinden die Feinde der Frauen mit dem Begriff Universalität immer auch das Attribut "international", was für sie gleich "westlich" ist. Aber die Abgeordneten der Vereinten Nationen scheinen in ihrem tiefsten Innern zu glauben, die Unterdrückung der algerischen Frauen läge in der Kultur unseres Landes begründet - und unter dem Vorwand des "Respekts vor anderen Kulturen" müsse man eben auch die Unterdrückung der Frauen respektieren und akzeptieren. Wir Algerierinnen nennen das "die Kulturfalle". In diese Falle sind die westlichen Länder voll getappt. Sie glauben, unsere Unterdrückung sei eine kulturelle Frage - und wollen nicht verstehen, daß sie eine rein politische Frage ist. Aus unserer Geschichte und Kultur läßt sich die Unterdrückung der Frauen ebenso wenig ableiten wie aus der der westlichen Länder -auch wenn das so mancher algerische Mann gerne hätte.

Jedesmal, wenn eine algerische Frau aufsteht, um ihre Rechte zu verteidigen, steht ein Mann hinter ihr, der fragt: Was willst du eigentlich, willst du wie die Europäerinnen werden? Unsere Antwort lautet: Wir wollen wie Kahina werden! Kahina war eine Herrscherin im siebten Jahrhundert. Sie hat ihr Land nicht in Angst und Schrecken geführt, wie es die Männer heute tun.

Wir wünschten, die Völker des Abendlandes lernten wenigstens unsere Geschichte, bevor sie über uns richten. Wir leiden unter der rassistischen Sichtweise, Universalität sei geographischen Grenzen unterworfen und habe nicht überall Gültigkeit. So habe ich im französischen Fernsehen Prozesse gegen Beschneiderinnen gesehen, die ihren afrikanischen Töchtern und Enkelinnen die Klitoris verstümmeln. Da standen doch tatsächlich weiße Männer, Anwälte und Journalisten, die erklärten, das sei nun einmal ihre Kultur. Doch seit wann sind Verletzungen der Menschenrechte und Verbrechen gegen die Menschlichkeit relativ und eine Frage der Kultur?

Natürlich kann es keine Lösung für die Opfer des islamischen Fundamentalismus sein, den Westen zu bitten, die Sache für uns zu regeln. Aber wir brauchen bei unserem Kampf gegen die Unterdrückung in den islamischen Ländern die Hilfe und Unterstützung der europäischen Länder.

In Algerien hat es in den letzten Jahren Hunderttausende von Toten gegeben, darunter viele Frauen, Journalisten, einfache Leute; und Tausende von vergewaltigten und gefolterten Frauen. In den letzten acht Jahren wurden 2.084 Frauen von islamistischen Gruppen verschleppt, ohne daß irgendein internationales Gremium protestiert hat. Schlimmer noch: Eine algerische Frau hat auch in Deutschland kein Recht auf politisches Asyl, wenn sie von der GIA, den bewaffneten "Gotteskriegern", verfolgt wird, denn sie wird ja nicht vom Staat bedroht. Dafür erhalten ihre Verfolger Asyl, denn ihnen droht nach all den Verbrechen in ihrer Heimat ja die Todesstrafe.

Damit nicht genug. Selbst Frauen, die in einem sogenannten "Gottesstaat" verfolgt werden, verweigert man politisches Asyl; ebenfalls unter dem Vorwand, diese Verfolgung sei kulturell und nicht politisch bedingt. Eines Tages mußte ich in "Le Monde" lesen, Taslima Nasrin verdiene ihr Schicksal, denn sie habe es geradezu darauf angelegt: sie habe sich in einem Entwicklungsland gegen die Religion gewandt.

Das alles kann die Welt nicht länger ignorieren. Die Grenzen der internationalen Menschenrechtserklärung müssen angesichts der neuen Totalitarismen und der terroristischen Bewegungen im Iran, in Algerien, im Sudan und Afghanistan dringend erweitert werden. Wir Algerierinnen fordern, daß die Verbrechen an den 2.084 Frauen, die in einem kriegerischen Akt in den letzten Jahren verschleppt und vergewaltigt wurden, als Menschenrechtsverletzungen angesehen werden. Wir fordern, daß auf internationaler Ebene Maßnahmen gegen solche Verbrechen ergriffen werden.

Ich bin Algerierin, ich lebe in Algier und bin heute Abgeordnete der Nationalversammlung. Ich bin stolz darauf, von meinen Landsleuten mit dem Wissen gewählt worden zu sein, daß ich Demokratin und nicht religiös bin. Doch ich kann zwar gewählt werden, aber ich habe nicht einmal die elementarsten Menschenrechte. Denn nach herrschendem Gesetz — das nicht von den Fundamentalisten gemacht wurde, sondern von der algerischen Republik — bin ich als Frau eine Unmündige. 1984 verabschiedete das Parlament das neue Familienrecht, den "code de la fa-mille", den algerische Feministinnen nur "code de 1'infamie" nennen. Danach kann ich als algerische Abgeordnete im Parlament zwar die Gesetze mit machen, im Privatleben aber bin ich eine Minderjährige.

Die Polygamie ist gesetzlich erlaubt, und ein Ehemann kann seine Frau noch immer quasi verstoßen. Wollte ich heiraten, dürfte ich das nicht entscheiden, sondern mein 74jähriger Vater müßte es tun. Gäbe es ihn nicht mehr, entschiede ein Bruder oder Onkel, ja sogar ein Sohn für mich; auch, ob ich ins Ausland reisen darf.

Wir haben in Algerien dank unserer Geschichte und des Kampfes von Männern und Frauen gegen die französische Kolonialmacht eine relativ starke Frauenbewegung. Doch auch sie konnte die Ent- rechtung der Frauen 20 Jahre nach der Befreiung unseres Landes nicht verhindern.

Jetzt, da die Männer sehen, daß sie selbst bedroht sind von den Ungeheuern, die sie riefen — Nationalismus, Männlichkeitswahn und religiöser Fanatismus — gibt es ein Erschrecken. So veranstaltete der "Hohe moslemische Rat" (HCI), der die Regierung berät, jüngst in Algier ein Seminar zum Thema Frauenrechte. Der Vorsitzende erklärte, er sei für die Abschaffung der Polygamie und des ganzen unwürdigen Familienrechts. Das ist ein — relativer — Fortschritt, der unzweifelhaft dem Druck der Frauen zu verdanken ist.

1993 verhängte die GLA ihr Todesurteil über mich. Das war und ist schlimm. Es ist allerdings einfacher, zum Tode verurteilt zu sein und zu wissen warum, als zu den Tausenden Frauen und Menschen zu gehören, die hingerichtet wurden, ohne zu wissen warum. Es gibt nichts Schrecklicheres als die Morde an diesen Mädchen und Frauen, die niemals politisch aktiv waren, niemals öffentlich aufgetreten sind, und die einsam und hilflos starben. Ich weiß, warum sie getötet wurden: im Zuge einer Strategie des willkürlichen Terrors, des totalen Krieges gegen ein Volk, um es der übelsten aller Diktaturen, dem Gottesstaat, zu unterwerfen.

Bis 1998 habe ich fünf Jahre lang jede Nacht meinen Aufenthaltsort gewechselt. Mittlerweile ist es besser geworden, ich ziehe nur noch alle zwei bis drei Monate um.

Meine allererste Rede im Ausland gegen den Terror der islamischen Fundamentalisten habe ich 1992 hier in Deutschland gehalten, auf Einladung von Alice Schwarzer. Damals wußte ich noch gar nicht, wie man eine Rede hält, und nun vertrete ich seit acht Jahren die algerischen Frauen im Ausland. Ich werde darum mein Leben lang den europäischen Feministinnen dankbar sein, daß sie sich nicht täuschen ließen und gleich verstanden haben, worum es in Algerien wirklich geht.

Wir waren Anfang der 90er Jahre in einer sehr schwierigen Lage: das Land drohte von einem autoritären Regime mit Militär im Rücken in einen theokrati-schen Totalitarismus zu verfallen, und wir mußten gegen diese Bedrohung kämpfen. Wir kämpften vergeblich. Die demokratischen Staaten im Westen haben uns zu ihrer großen Schande einsam sterben lassen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich erwarte nicht, daß jemand mit uns stirbt. Wir hätten nur, wenn schon die Einsamkeit unser Schicksal ist, ganz gerne, daß man uns nicht auch noch in den Rücken fällt.

"Was wollt ihr Frauen eigentlich?" werden wir im In- und Ausland gefragt. "Die Fundamentalisten sind doch gewählt worden." Seit acht Jahren werde ich nicht müde zu erklären, daß auch Hitler damals gewählt wurde und nicht durch einen Staatsstreich an die Macht kam. Der Abbruch der Wahlen nach dem ersten Durchgang 1991 war in der Tat absolut undemokratisch. Die religiösen Fanatiker der FIS aber haben in Algerien keinesfalls eine überwältigende Wählermehrheit hinter sich wie Hitler damals in Deutschland. Ich als Frau werde es niemals hinnehmen, daß die Frauen auf irgendjemandes Altar verkauft werden, im Namen welcher Theorie oder Strategie auch immer. Es gibt keine Demokratie ohne die Frauen.

Bei den französischen Kommunalwahlen im letzten Jahr weigerten sich sowohl die rechten als auch die linken Politiker, mit der rechtsextremen Front National zusammenzuarbeiten, weil sie rassistisch und antisemitisch ist. Dieser Rassismus und Antisemitismus ist auch unter den islamischen Fundamentalisten weit verbreitet. Vom Sexismus ganz zu schweigen. Sie machen sogar eine Doktrin daraus. Ich wünschte darum, die algerischen Demokraten hätten dieselbe Haltung wie die französischen: Für alle Demokraten

>r wurde damals vom Volk gews

sollte es selbstverständlich sein, sich mit einer solchen Partei nicht zu verbünden.

Wir haben es mit einer einflußreichen fundamentalistischen Internationalen zu tun, die eine klare Strategie hat. Um die Frauenrechte zu sichern, brauchen auch wir eine demokratische Internationale der Frauen - sonst haben wir keine Chance gegen das Ungeheuer. Nicht nur die algerischen, auch die sudanesischen, iranischen und afghanischen Frauen wissen, wovon ich rede: Sie kennen das Grauen der "Gottesstaaten" nur zu gut. Doch allein, ohne eure Unterstützung, ohne die der Frauen- und Menschenrechtlerinnen der westlichen Länder, verlieren wir diesen Kampf um Leben und Tod. KHALIDA MESSAOUDI
Gesamten Bestand von FrauenMediaTurm anzeigen

Kontext

wird geladen...

Standort

Frauenmediaturm – Feministisches Archiv und Bibliothek

Bayenturm / Rheinauhafen
50678 Köln
Telefon: +49 (0)221 931 88 10
Öffnungszeiten
Mo-Fr. 10-17 Uhr, nach Voranmeldung. Die Anmeldung kann telefonisch, per Mail oder über das Kontaktformular erfolgen. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei

Ich stimme der Nutzung von Google Maps zu.

Ähnliche Einträge