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Die Dunkelweiberbriefe

in: EMMA
1998 , Heft: 6 , 88-89 S.
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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1998-6-a
Formatangabe: Buchauszug
Link: Volltext
Verfasst von: Morgner, Irmtraud info
In: EMMA
Jahr: 1998
Heft: 6
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
An die hochgeschätze Frau Doktor der Schweigologie Gracia Ortwin
Was wir brauchen, sind Hexenprozesse, liebe Frau Doktor. Wenn wir nicht wie auf anderen Gebieten hinterm Weltniveau zurückbleiben wollen oder strampeln, um es irgendwie bißchen mitzubestimmen, müssen wir Weltspitze sein. Und Weltspitze auf unserem Gebiet heißt heute: Hexenprozesse von Frauen für Frauen. Ich verstehe nicht, warum Sie noch zögern. Die Zeichen stehen doch überall gut. Fürchten Sie die Kritik, die mit Sicherheit vernichtend sein wird? Möchten Sie den Fehler lieber anderen zuschieben? Dann können Sie auch nicht die Früchte des Fehlers ernten. Eine, die es gut mit Ihnen meint

Meine liebe Frau Doktor Ortwin
Ihre allgemeine Schweigologie ist mir sehr gut bekommen, aber ihre spezielle Schweigologie ist Quatsch. Ich habe ihn soeben aus einer Broschüre zu mir genommen, und ich sage Ihnen: schade ums Papier.

Denn ein Ventil braucht der Mensch. Mein Mann geht zum Fußball, prügelt sich ein bißchen oder läßt sich vollaufen. Ich als anständige Frau dagegen sah bisher ganz schön alt aus, wenn ich mal Dampf ablassen wollte. Das hat sich schlagartig geändert, seitdem ich dem Rat meiner Freundin folge und die allgemeine schweigologische Methode anwende. Meine Freundin Helga hat sofort gerochen, daß alles, was Sie schreiben, was anderes bedeutet. Die Frau liest nur zwischen den Zeilen. Ist Helgas Dankschreiben schon bei Ihnen eingetroffen? Ich weiß jedenfalls auch nicht, wie ich Ihnen danken soll, denn seitdem ich jederzeit meinem Herzen delikat Luft machen kann, fühle ich mich wie runderneuert. Ich brauch keine Scheißegaltabletten mehr, und mein Mann ist auch weniger gestreßt. Hab ich nämlich früher den Mund aufgemacht und widersprochen, fühlte sich mein Mann prinzipiell angegriffen; hab ich nicht widersprochen, erst recht - weil er dann zu ergrübeln suchte, was ich verschwieg. Jetzt quassel ich raus, was ich denk. Und da mein Mann schon immer der heimlichen Überzeugung war, daß die Frauen mit dem Uterus denken, fühlt er sich nun aufs schönste bestätigt. Sein Selbstgefühl hat sich bedeutend verbessert, was sich wohltuend auf das Eheleben auswirkt. Und seine Neugier wird auch unkomplizierter befriedigt. Wenn er übersättigt von Gesetzmäßigkeiten und Weisungen nach Haus kommt, fragt er ohne Hemmung: Was gibts denn Neues an Klatsch. Und dann leg ich los. Der beste Klatsch handelt natürlich von Hexen. Kennen Sie zum Beispiel die Merkerin, die Frau vom alten Merker? Der ist Diplomingenieur, und sie verkauft im Exquisit und sieht aus wie ein Goldhamster. Alles echt, sagt sie, Carola heißt sie wohl, sie trägt nur echten Schmuck, sagt sie, und daß sie eine berühmte Musikerin wäre. Wenn sie nicht geheiratet hätte. Wenn Sie sich nicht aufopfern müßte für ihren Mann. Dem und Besuch kocht sie nämlich ganz kompliziert, und die herrlichsten Gerichte kriegt man vorgesetzt mit genauen Beschreibungen von Herzanfällen, Kreislaufattacken oder Sponduloseleiden, die während der Küchenarbeit durchlitten wurden: guten Appetit. Ich habe auch schon vor dem Markenporzellan gekaut und wiedergekaut -Carola muß es immer nachspülen, weil die Aufwartung nicht sauber genug abwäscht.

Aber eines Tages ist Merkers Carola an den richtigen Besuch geraten, daß heißt an den falschen. Und aus wars mit der Opferei. Die Hexe hat Herrn Merker gestorben und Frau Merker auf die Musikhochschule geschickt. "Ich bin zu abgeschunden durch die Haushälterei in all den Ehejahren", hat nun Carola Merker geklagt, "wenn ich jung hätte studieren können, wäre ich eine berühmte Komponistin". Da hat die Hexe die Carola Merker gewendet.

Und die Gaben erwiesen sich als Seetang. Die Hexe soll ihn an die Elefanten im Tierpark verfuttert haben. Hätten Sie gedacht, daß Elefanten Seetang fressen? Ihre Friseuse Irma Grünert

Internationales Institut für Kritik und Bekämpfung der Emanzerei Genf
Liebe Frau Ortwin
Wir haben Ihre Schriften mit großem Interesse gelesen und würden uns glücklich schätzen, wenn wir Sie mal persönlich kennenlernen dürften. Unser Institut veranstaltet jeden Winter eine internationale Arbeitstagung, die wir "Winteruni" nennen. Sie findet am Nikolaustag statt (6. Dez.) und hat diesmal außer Vorlesungen und Seminaren für Frauen, die gesunde Frauen bleiben bzw. wieder werden wollen, auch Trance-Trainingsgruppen, Bauchtanz-, Orakel- und Strickworkshops, Schweigen für den Frieden, Kräuter- und Körnerprojekte sowie Vorträge über Unterwassergeburt auf dem Programm. Hätten Sie Lust, an unserer nächsten Winteruni teilzunehmen? Wir laden Sie hiermit sehr herzlich ein, und meine Mitarbeiterinnen und ich würden es außerordentlich schätzen, wenn Sie kommen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Gez. Antoinette Lenoir
Institutsdirektorin

Magister
Gerhild Eiferbach Köln
An Frau Dr. Gracia Ortwin
Hochverehrte Frau Doktor
Aus der traditionsreichen Stadt Köln, wo Johannes Pfefferkorn gewirkt und gekämpft hat, sende ich Ihnen meinen Gruß. Wir Frauen können ja nur was werden, wenn wir aus der Geschichte lernen. Der berühmte Streit zwischen dem großen Kölner Theologen und den Ketzern kann uns gerade jetzt Orientierungshilfe sein. Der Jude Pfefferkorn war bekanntlich in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts mit seiner Familie zum Christentum übergegangen und schrieb dann Kampfschriften gegen seine früheren Glaubensbrüder. Warum nicht? Seit wann ist ein Feldzug zur Bekehrung verwerflich? Ich war auch mal Emanze und wurde bekehrt und versuche nun in Workshops und anderen Projekten entsprechend gegenaktiv zu werden. Die Schriften von Johannes Pfefferkorn "Der Judenspiegel", "Judenbeichte", "Osterbuch" und "Judenfeind" regen mich im Kampf gegen meine ehemaligen Glaubensschwestern ebenso an wie Pfefferkorns Forderung, sämtliche jüdischen Bücher zu verbieten. Immerhin errang er im Jahre 1509 von Kaiser Maximilian die Genehmigung, im ganzen Reich die Bücher der Juden einzuziehen. Da der Erzbischof von Mainz sich jedoch den Bemühungen Pfefferkorns widersetzte, ordnete der Kaiser 1510 an, Pfefferkorns Forderung zunächst einmal von mehreren theologischen Fakultäten und Gelehrten wissenschaftlich prüfen zu lassen. Die Kölner Theologen mit Ortwin Gracius an der Spitze stellten sich in ihrem Gutachten sofort hinter Pfefferkorn. Auf seiner Seite stand natürlich auch der Großinquisitor der Erzbistümer Köln, Mainz und Trier, der Dominikaner Jakob von Hochstraten. Die Universitäten Mainz und Erfurt schlössen sich an, nur Heidelberg zögerte mit seiner Entscheidung. Pfefferkorns gute Sache hätte auch gesiegt, wäre nicht ein gewisser Räuchlin zum Gutachter bestellt worden. Hochstraten zitierte Räuchlin zwar vor sein Inquisitionsgericht in Mainz. Und auch ein Prozeß vor dem päpstlichen Gericht in Rom wurde angestrengt. Aber der Ketzerprozeß gegen Räuchlin fand leider nicht statt. Nur in den Dunkelmännerbriefen von 1515 (epistolae obscurorum virorum) wurde mit ihm und seinen Truppen aufgeräumt und der große Ortwinus Gracius wieder zu Ruhm und Ehren gebracht.

Wenn der sogenannte Humanismus mit seinen Entdeckungen und Erfindungen und allen diesen Wissenschaften, die "studia humana" genannt wurden, damals nicht gesiegt hätte, hätten wir heute keine Atombomben. Oder können Sie sich vorstellen, daß von den "studia divina" der Scholastik die Kriegstechnik hervorgebracht worden wäre, vor der heute alle Welt zittert? Damals schon waren Menschen von Angstträumen geplagt und sahen in Sonnenfinsternis und Kometenerscheinung, in Dürre, Überschwemmung und Mißgeburt eine Ankündigung des Weltuntergangs. Diese Menschen waren ihrer Zeit weit voraus und fühlten eine Zukunft der Unordnung, in der wir heute leben. Die Emanzen wollen die Unordnung bis zum Chaos steigern, indem sie auch noch die Frauen zu diesen unseligen "studia humana" verführen. Von der Inquisition lernen heißt gegen die Emanzen siegen lernen!
Ihre
Gerhild Eiferbach
Pfefferkorn-Workshop
Köln
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