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Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1993-3-a
Formatangabe: Rezension
Link: Volltext
Verfasst von: Merkel, Angela
In: EMMA
Jahr: 1993
Heft: 3
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
"Die Töchter schlagen zurück"

Die Töchter der Feministinnen sind da. Und sie verstehen sich über alle Ländergrenzen und Politgrenzen hinweg. Die CDU-Frauenministerin Angela Merkel, 38, Tochter einer frauenbewegten Pfarrersfrau und SPD-Wählerin, ist begeistert von der feministischen Streitschrift Susan Faludis, 33, Tochter einer Mutter mit Zivilcourage ("Sie setzte sich schon immer ein für Frauen. Schwarze und politisch Andersdenkende."). Auf einer Amerikareise entdeckte die Bonner Ministerin aus dem Osten den Bestseller der "Feministin der Saison" (Faludi über Faludi). Für die Reporterin des "Wall Street Journal" und Pulitzer-Preisträgerin begann alles mit der Behauptung eines Kollegen, unverheiratete Frauen über 30 würden "eher von einem Terroristen erschossen werden, als einen Mann finden". Liebe oder Karriere lautete die Message. Faludi sah sich die "Studie", auf der diese Behauptung basierte, genauer an - und siehe da: alles gelogen. Just hatte die Reporterin Blut geleckt. Sie ging den Fakten nach, auf denen so manche antifeministische Schlagzeile zu beruhen behauptete - und siehe da: alles gelogen. Frauen waren noch nie so erfolgreich wie heute - aber auch noch nie so unglücklich, behaupten die Trendmacher. Beweise gibt es dafür keine, Schlagzeilen umso mehr. Nach nur zwei Jahren Bonn weiß auch die dem präzisen Denken verpflichtete Naturwissenschaftlerin Merkel, wovon die San Fran-ciscoer Feministin redet. Backlash. "Rückschlag. Der Krieg ohne Kriegserklärung gegen amerikanische Frauen", wie das Buch im Original kompromißlos heißt. Ganz so militant mochte Rowohlt nun doch nicht einherkommen. Der Hamburger Verlag übersetzte Faludi unter dem gelehrsamen Titel "Die Männer schlagen zurück - Wie die Siege des Feminismus sich in Niederlagen verwandeln und was Frauen dagegen tun können". Susan Faludi beschreibt in ihrem Buch "Die Männer schlagen zurück" die 80er Jahre als eine Dekade der Stagnation in der Frauenpolitik und der Reaktion der Männer auf den Feminismus. Sieht es in Deutschland anders aus? Da haben wir zwar die rechtliche Gleichberechtigung garantiert, eine nüchterne Analyse der Teilhabe von Frauen im öffentlichen Leben aber zeigt ein eher erschreckendes Bild. Ich habe dieses Buch im Januar 1993 in Amerika gelesen, in einer Zeit, als nach Bill Clintons Wahlsieg Frauen im politischen Leben der Vereinigten Staaten wieder eine größere Rolle zugedacht wurde. In den Monaten danach haben wir aber erlebt, wie amerikanische designierte Ministerinnen von Mitgliedern des Kongresses abserviert wurden. Wer hat je einen Mann gefragt, woher sein Kindermädchen kommt?

Susan Faludi schildert, welche Erwartungen heute an Frauen gestellt werden und wie die Realität aussieht. Das Rollenbild wird immer noch von Männern vorgegeben, lautet die Botschaft von Susan Faludi. Sie erspart sich dabei nicht die Mühe, mit Fakten nachzuweisen, in welcher Weise Trends und Modeerscheinungen, die in der Realität weder relevant noch typisch sind, gemacht und schein-wis-senschaftlich untermauert werden. Wer sind die Trendsetter? Wer macht die Meinung? Wer bestimmt, wovon wir erfahren dürfen, was wir wollen und wohin wir gehen sollen? Faludis Antworten auf diese Frage zeigen, daß es auch in Amerika vor allem Männer sind. Mit Unterstützung von ein paar Alibi-Frauen vermitteln diese Männer uns ein Mei-nungsbild, das Frauen nicht gerade ermutigt.

[ch sehe das in Deutschland genauso. Denn ich merke, daß Frauen so lange schwer vorankommen, wie sie nicht >m gleichen Maße teilhaben am öffentlichen und gesellschaftlichen Le-?en. So lange sie nicht in den Führungspositionen der Medien, der Dolitischen Parteien, der Interessen-/erbände, der Wirtschaft und der so-dalen Bereiche vertreten sind; so lange sie nicht zu den Modeschöpfern and Spitzenköchen gehören; so lange werden Leitlinien eben von Männern festgelegt. Deshalb ist eine meiner Lehren aus diesem Buch und aus Beinen Erfahrungen: Wir Frauen müssen weitergehen auf dem Marsch durch die Institutionen und teilhaben an der öffentlichen Macht! Ob dies auch die Botschaft von Susan Faludi ist, vermag ich nicht ganz zu erkunden. Ich glaube, daß die Frauenbewegung in dieser Frage unentschieden ist.

Durch Schuldgefühle kann man den Mut, den Aufbruchsgeist und den Willen zur Selbstgestaltung des Lebens bei Frauen am besten unterbinden, lautet die zweite Erkenntnis von Susan Faludi. Man muß nur den Frauen immer wieder statistisch irrelevante Zahlen vorhalten und falsche Fragen in den Medien publizieren und diskutieren, um sie in arge Selbstzweifel zu stürzen. Welche Heiratschancen habe ich, wenn ich eine führende Position bekleide? Wie hoch ist die Gefahr einer Fehlgeburt? Was leiden meine Kinder, wenn ich versuche, Beruf und Familie zu vereinbaren? Diese Fragen werden immer wieder an für Frauen entmutigenden Negativ-Beispielen diskutiert. Es ist der Versuch der Männer, sich in den von ihnen besetzten Positionen zu halten oder zumindest die einsteigenden Frauen mit einem schlechten Gewissen zu deckein. Susan Faludi zeigt an unglaublichen Beispielen, wie bestimmte "wissenschaftliche" Tatsachen so oder so ausgelegt werden können, und wie Statistik genutzt wird, um ein scheinbar unumstößliches Glaubensbekenntnis zu untermauern. So stieg die Frauenerwerbsquote Anfang der 80er Jahre in den USA erstmals auf über 50 Prozent. Prompt behauptete Präsident Reagan, die berufstätigen Frauen seien "schuld" an der Arbeitslosigkeit. In Wahrheit aber war es die Rezession. Die Frauen profitierten nämlich in Reagans Amtszeit vom jährlichen Stellenzuwachs so wenig wie zu Eisenhowers Zeiten. Und ein Drittel der neuen Frauenjobs lag unter dem Existenzminimum. Faludi: "Das waren keine Stellen, die Frauen den Männern wegnahmen; das waren Dreckjobs, die Männer ablehnten und Frauen aus Verzweiflung annahmen - um ihre Familie zu ernähren, wenn der Mann abwesend, arbeitslos oder unterbeschäftigt war." Was läßt sich hieraus lernen? Zunächst muß die Frage beantwortet werden: Wer tut die Arbeit, die Frauen heute leisten, wenn sie stärker und richtigerweise am öffentlichen Leben beteiligt werden? Diese Arbeit kann nur von den Vätern und Großvätern, den Männern also geleistet werden. Das müssen Frauen immer wieder auf den Tisch bringen, auch wenn es unendlich viel Kraft braucht. Wir müssen wegkommen von den stereotypen Rollenvorstellungen und neue Leitbilder propagieren: Der Mann, der sich um die Nachbarn kümmert; der Mann, der nachmittags in der Theatergruppe der Schule mitmacht; der Mann, der sich um die Altenpflege kümmert; der Mann, der spült und das Klo putzt. Denn das habe ich in der DDR gelernt: Wenn Frauen nur zusätzlich zu all den Arbeiten, die sie zu erledigen habdn, noch die Erwerbstätigkeit oder die Teilhabe an öffentlichen Ämtern ausüben, dann schwindet die Kraft, sich über die eigene Lebensgestaltung klar zu werden, gar in sie zu investieren.

Leider gibt Susan Faludi keine Antwort auf die Frage, wie diese Änderung des Rollenverständnisses von Männern bewirkt werden kann. Die gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen und privaten Leben ist ja keineswegs allein durch Gesetze und Verordnungen zu verwirklichen. Der Kampf um die Gleichberechtigung ist nach Susan Faludi eine spiralenförmi-ge Entwicklung, immer wieder verbunden mit Rückschritten, die sich nur langsam an die eigentliche Gleichberechtigung herantastet. Wie diese eigentliche Gleichberechtigung letztendlich aussieht, das bleibt in dem Buch an vielen Stellen aus meiner Sicht im Dunkeln. Ich verstehe unter Gleichberechtigung das gleiche Recht für Frauen auf Gestaltung des eigenen Lebens und die gleichmäßige Verteilung aller Pflichten, die für das Gesamtwohl unserer Gesellschaft unerläßlich sind. Individualisierung allein wird uns nicht voranbringen. Susan Faludi zeigt, daß Frauen ihre Anliegen selbst artikulieren müssen, und dies kontinuierlich. Das Unwissen nachwachsender Frauengenerationen über die Forderungen ihrer Vorkämpferinnen hat immer wieder zu Brüchen in der feministischen Entwicklung der USA geführt. In Deutschland wird es nicht anders sein. Faludi zeigt, daß Frauen sich selber auf den Weg machen müssen, wenn sie für sich etwas erreichen wollen.

Faludi argumentiert nicht, und das macht den Reiz dieses Buches aus, auf emotionaler Ebene. Sie bedient sich wissenschaftlicher Methoden, um zu beweisen, daß so mancher Trend oder Skandal mehr System hat, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Mitte der 80er Jahre erschienen in der amerikanischen Presse eine Fülle von Trendstories über Mütter, die angeblich Angst hatten, ihre Kinder in Horte zu geben. 1988 taucht dieser Trend dann erstmals in einer nationalen Erhebung auf: 40 % der Mütter sprachen nun von dieser "Angst", das Vertrauen in Horte sank von 76 % im Vorjahr auf 64 %. In den 80er Jahren wurde von den Medien ebenso hartnäckig behauptet, immer mehr Frauen gäben ihren Beruf auf, um bessere Mütter zu sein. Tatsächlich aber sank die Frauenerwerbsquote in dieser Zeit bei Frauen zwischen 20 und 44 nur um 0,5 %. Faludi: "Die Frauen-Trendstories der 80er Jahre, die nur so taten, als brächten sie Fakten, dienten einem politischen Programm, obwohl sie den Frauen weismachten, was mit ihnen geschehe, habe nichts mit Politik oder gesellschaftlichen Zwängen zu tun."

Für mich eröffnet Susan Faludis Buch eine völlig neue Sichtweise auf die Entwicklung der letzten zehn bis 15 Jahre in Amerika. Es zeigt aber vor allem uns in Deutschland, die wir zur Zeit in einem Prozeß der Annäherung von sehr verschiedenen Biographien in Ost und West sind, auf welche Gefahren Frauen stoßen werden. ANGELA MERKEL Bundesministerin für Frauen und Jugend
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