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"Ich bin keine Frau"

Verfasst von: Stendhal, Renate
in: EMMA
1986 , Heft: 3 , 38-39 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1986-3-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Stendhal, Renate
In: EMMA
Jahr: 1986
Heft: 3
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Diesen berühmt gewordenen Satz sagte die Schriftstellerin Monique Wittig vor einigen Jahren in New York. Ihre Frauen sind Menschen. Sie sind stolz. Mutig. Schön. Sie lieben Frauen und hassen Männer.

Schon am Anfang stand der Skandal.Der renommierte Literaturpreis "Médicis" ging an eine bis dahin unbekannte 29jährige Elsässerin, die in Amazonenstiefeln zur Preisverleihung erschien. Geehrt wurde ihr erstes Buch, "Opoponax", das mit einem"Piephähnchen" beginnt und mit einer Mädchenliebe endet. Das war 1964. Sechs Jahre vor Beginn der Frauenbewegung in Frankreich, zu der die Schriftstellerin dann sehr aktiv beitrug. Heute lebt und lehrt Monique Wittig in den USA, wo sie, literarisch und politisch hoch geschätzt, mit offenen Armen empfangen wurde. Hier fand sie die Frauen und die Bedingungen, um weiter arbeiten und agieren zu können. 1979 erklärte Monique Wittig in einer aufsehenerregenden Rede auf der Simone-de-Beauvoir-Konferenz in New York öffentlich: "Ich bin keine Frau".

Aber noch schreiben wir das Jahr 1964. Die von Wittig geschätzte Natalie Sarraute ist begeistert von "Opoponax". Marguerite Duras hält es für das "sicherlich erste moderne Buch über die Kindheit überhaupt (...) und die Hinrichtung von 90 Prozent aller übrigen Kindheitsbücher". Mary McCarthy findet in "Opoponax" die "universellen Gegebenheiten der Kindheit" und Gabriele Wohmann eine "ungewöhnliche und beachtliche Authentizität". Mit einem Schlag ist die unbekannte Elsässerin berühmt, erscheint in mehreren Sprachen, auch, ganz ausgezeichnet übersetzt, in Deutsch.
Fünf Jahre später - ein Jahr nach dem Barrikaden-Mai 68 also und ein Jahr vor der neuen Frauenrevolte - erscheint Monique Wittigs zweites Buch: "Les Guérillères" (auf deutsch: die Kriegerinnen). Ein "Heldinnenlied" (Wittig). Ein visionäres Fanal zum Aufstand der Frauen. Ihre Kriegerinnen sind kühn und stolz. Und sie sind vermessen. So vermessen, daß sie sich nicht mehr durch die Männer bestimmen lassen: sie definieren sich selbst, setzen sich als das Absolute. Auch sprachlich. In der Mehrzahl sind die "elles", Sies. Die Wörter "Frau" und "Mann" kommen nicht mehr - und künftig nie mehr - in den Dichtungen Monique Wittigs vor. "Frau" bezeichnet fortan für sie einen "absoluten Zustand der Versklavung", "eine, die wem anders gehört". Ihre"Sies" hingegen gehören keinem (mehr): sie sind unabhängig, autonom, sind "Liebesgefährtinnen" und "Guérillères".
Ein Jahr später, im April 1970, erscheint in der Pariser Anarcho-Zeitschrift "L'idiot international" ein von vier Frauen gezeichneter Text mit dem Titel: "L'an zero", das Jahr null. Eine der vier Autorinnen ist Monique Wittig. Was zuvor nur Papier war, wird nun Realität: Sie brechen auf, Sie ziehen in den Kampf, "Sie sagen, eine neue Welt beginnt" (Wittig). Und die Schriftstellerin ist eine von ihnen.

Erste Treffen, bewegte Auftritte an der "roten" Pariser Fakultät Vincennes ("Macker raus!"); die Kranzniederlegung am Grabe des "unbekannten Soldaten" unter dem Arc de Triomphe für die "Frau des unbekannten Soldaten"; neue Ausdrucks- und Kampfformen: Lieder, Gedichte, Aktionen. Und nicht selten trägt die wieder beginnende Frauenrevolte in Paris auch die Handschrift der Dichterin Wittig: Monique ist eine der Begründerinnen der neuen Frauenbewegung und in diesen bewegten Jahren auch eine der aktivsten Feministinnen.

Als Theoretikerin und Aktivistin ist sie so radikal wie als Dichterin. Im November 1970 vom "Nouvel Observateur" nach ihrem Feminismus befragt, antwortet sie: "Frauen? Kennen wir nicht. Sie sind eine Erfindung des Patriarchats. 'Die Frauenbewegung'? Gibt es nicht. Das ist eine Erfindung der Presse. Wir sind nicht die Bewegung, wir sind in Bewegung. Wir sind keine Gruppe. Wir sind ein Phänomen." Die sogenannte "Weiblichkeit" war schon für die frühe Feministin Monique Wittig 1964 nichts als eine Erfindung der Männergesellschaft. 1973 geht sie in ihrem dritten Roman "LeCorpsLesbien" (Der lesbische Körper) noch weiter: Sie verweigert den "weiblichen Körper" und die "weibliche Sexualität", die sie als Produkt des patriarchalischen Diktats begreift, sie bricht mit der Tradition der verquält beschämten Lesbenliteratur der Vergangenheit (wie "Quell der Einsamkeit" etc.) und dem idealisierenden Kitsch ("Sind es Frauen") ebenso wie mit der voyeuristisch-pornographischen Beschreibung der lesbischen Liebe in Männerbüchern. Die Männer sind in ihrem Text so abwesend wie der männliche Blick. Anwesend sind ihre leidenschaftlichen, würdevollen Amazonen, sind die lesbischen Mythen von Christa (statt Christ) Orphea, Archimedea, Pandora, Zeyna (statt Zeus). Vor allem aber bricht "Le CorpsLesbien" mit dem patriarchalischen Mythos, daß Leidenschaft ein Monopol der Heterosexualität sei. Präsent ist die lesbische Passion.

Die literarische Qualität Wittigs zwingt, der Unbequemlichkeit ihrer Inhalte zum Trotz, auch die französische Presse in die Knie: in uneingeschränkter Bewunderung wird sie nun als "französische Sappho des 20. Jahrhunderts" gefeiert.

In Deutschland allerdings bleibt es still um sie. Der Rowohlt Verlag hielt es bis heute nicht für nötig, das Mitte der Sechziger erschienene und längst vergriffene erste Buch "Opoponax" wiederaufzulegen. Auch Wittigs folgende Bücher interessierten die großen deutschen Verlage nicht mehr. Die kleinen Frauenverlage griffen zu. Verdienstvoll und problematisch zugleich, wie sich im nachhinein herausstellte. Denn die späten Übersetzungen von "Le CorpsLesbien" und "Les Guérillères" waren nicht in der Lage, die Kraft und Radikalität von Wittigs Sprache wiederzugeben. Sie saßen auch noch einem politischen Mißverständnis auf, indem sie versuchten, Wittig für ihre Ideologie von der Mystifizierung der Frauen zu vereinnahmen. Was sich am krassesten in der Titelmanipulation ausdrückt: "Les Guérillères" erschien auf Deutsch unter dem Titel "Die Verschwörung der Balkis", "Le CorpsLesbien" unter dem Titel "Aus deinen zehntausend Augen, Sappho". - Allerdings: die Bücher in dieser Übersetzung zu lesen, ist immer noch besser, als sie gar nicht zu kennen.
Gerade Monique Wittig aber war immer eine entschiedene Gegnerin jeder Umkehrung des Biologismus, das heißt gegen jede "natürlich" begründete Aufwertung von Frauen. Die Frau ist für sie eine Fiktion, "Männer" und "Frauen" sind nicht natürlich, sondern eine "ideologische Erfindung" - zum Nutzen der Männerherrschaft. Wittigs Antwort: die Ablehnung des Frauseins in bezug auf einen Mann, das heißt die Ablehnung der Heterosexualität. Denn: "Das einzige mir bekannte Konzept, das über die Geschlechterkategorien hinausgeht, ist das des Lesbischseins (...), da lesbische Gemeinschaften nicht auf der Unterdrückung von Frauen basieren, und das Subjekt (die Lesbierin) keine Frau ist - weder ökonomisch, noch politisch, noch ideologisch. Wir sind zum ersten Mal in der Geschichte mit der Notwendigkeit konfrontiert, als Individuen zu existieren."
Erst Monique Wittigs viertes, 1976 zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Sande Zeig geschriebenes Buch, "Brouillon pour un Dictionnaire des Amantes", wurde 1983 angemessen auf Deutsch übersetzt ("Lesbische Völker. Ein Wörterbuch", ebenfalls Frauenoffensive). Es ist der "Rohentwurf" eines "amazonischen" Wörterbuchs und setzt eine lesbische Sprachwelt phantasievoll gegen das zementierte "man sagt" des patriarchalischen Lexikons.
Im Sommer 85 erschien in Frankreich Monique Wittigs jüngstes Buch: "Virgile, non". Sie schreibt darin Dantes "Göttliche Komödie" neu. Ihre Hölle ist der Heter(r)or, die Vorhölle ähnelt den Frauenbars, den "Subs", und ihr Paradies ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Jenseits. Jenseits des Patriarchats, wo die Frage nach dem Geschlecht der Engel leicht zu beantworten ist... Monique Wittig ist Dante. Sie läßt sich, gewehrbewaffnet, von "Manastabal, meiner Führerin", einer Amazone, führen. In diesem, in seiner Knappheit, Konzessionslosigkeit und Selbstironie vielleicht besten ihrer Bücher, geht sie weiter denn je zuvor. Dennoch: Monique Wittig, die Visionärin, bleibt Realistin. Vor den Niederungen der Weiblichkeit schließt sie die Augen nicht, im Gegenteil, sie schaut schmerzlich genau hin. Die französische Literaturzeitschrift "Vlasta" (für "amazonische Utopien") widmete Monique Wittig zum Erscheinen von "Virgile, non" eine Sondernummer. Darin schreibt die argentinische Dichterin Noni Benegas: "Während der Eintritt in den Danteschen Garten Eden vom göttlichen Erbarmen (compassion) abhängt, erfordert der Zugang zu dem von Wittig vorgeschlagenen Eden aktive menschliche Leidenschaft (passion). Indem sie dieses Paradies im Hier und Heute ansiedelt, stellt sie noch einmal das grundlegende Problem der Utopien: Wo sollen wir sie verwirklichen? Auf einer verlassenen Insel? In weit entfernten Ländern? Hier und Heute bedeutet, sich bewußt zu machen, daß es ein aktuelles Paradies zwischen unseren täglichen Höllen und Vorhöllen gibt. Für diese Reise braucht es keine Ortsveränderung, sondern einen veränderten Blick (...). Es braucht die schrittweise Konstruktion einer Welt, die unseren Wünschen entspricht, und die radikale Ablehnung jeder anderen."
Aus dem "literarischen Skandal" von einst ist also längst eine politische Herausforderung geworden. Die Dichterin Monique Wittig prüft jedes Wort auf seine patriarchalische Beschränkung und setzt dem ihre eigene Sprache entgegen. Sie bricht aus dem Gefängnis des Heter(r)ors aus, verläßt es hoch erhobenen Hauptes, eskortiert von Amazonen, Heldinnen und Liebesgefährtinnen.
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