Artikel

Unsere Schwestern von gestern: Hedwig Dohm

Verfasst von: Bookhagen, Renate
in: EMMA
1977 , Heft: 3 , 54-55 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1977-3-a
Formatangabe: Porträt
Link: Volltext
Verfasst von: Bookhagen, Renate
In: EMMA
Jahr: 1977
Heft: 3
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
So berühmt Hedwig Dohm als Schriftstellerin der Ersten Frauenbewegung im vorigen Jahrhundert war - heute kennt sie kaum jemand. Sie ist, wie so viele Autorinnen, die es »wagten«, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen, nicht für würdig befunden worden, in die Literatur einzugehen. Dabei war sie eine berühmte und heftig diskutierte Frau, war sie die Autorin vieler, damals sehr bekannter Streitschriften und Romane. Vor ihrem scharfen Verstand und dem ihre Gegner entlarvenden Witz war niemand sicher. Und schon gar nicht die Männer. Nichts von verstaubten und geschraubten Sätzen, wie wir uns heute Schriften aus dem vorigen Jahrhundert vorstellen. Sie spottete schon vor über hundert Jahren gegen die, die damals wie heute so gern von der»Natur der Frau« reden: »Der Stoffwechsel des Mannes geht schneller vonstatten, als derjenige der Frau, triumphiert er. Und darum ihm alle einträglichen Beamtenstellen, ihr Küche und Nähmaschine? 'Der Mann hat längere Beine als die Frau'! Sehr richtig. Daraus könnte man allenfalls schließen, daß der Mann sich mehr zum Briefträger eigne als die Frau. Warum aber ihr aus diesem Grunde die Fähigkeit zum Erlernen des Griechischen und Lateinischen absprechen?«

Wir sehen, »Urminchen« Hedwig (so nannte sie ihre Enkelin Katja Mann, getreues und demütigtes Eheweib von Thomas Mann), steht an Scharfsinnigkeit in nichts hinter ihren Enkelinnen zurück - im Gegenteil. Hedwig: »Ob wohl Friedrich Schiller mit gleicher Begabung als kleine Friederike geboren und auf die Dorfschule von Marbach angewiesen, ein großer Dichter geworden wäre?«

Verständlich, daß die eher biedere Zeit der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts so frischen Wind nur schwer ertrug. Das ist ja sogar heute noch so. Damals durften Frauen weder studieren noch wählen. Für Frauen aus den »besseren« Kreisen gehörte es sich nicht, arbeiten zu gehen. Daß auch Frauen ein Recht auf Schul- und Berufsausbildung haben, diese Erkenntnis begann sich erst langsam durchzusetzen.

Zwar waren die ersten Schritte der Organisierung von Frauen mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins 1865 schon getan (auch in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten begann der Widerstand von Frauen stärker zu werden,) doch in Deutschland hatten es die Frauen besonders schwer. Seit dem militärischen Sieg über Frankreich 1871 hatte der preußische Männlichkeitswahn rapiden Aufschwung genommen: Männer unter sich, die Verherrlichung des Militärs, stramm und muskulös, Marschmusik mit Glanz und Gloria, absoluter Gehorsam und unbedingte Pflichterfüllung gegenüber Vorgesetzten und der Regierung, gleichzeitig Haß und Verachtung gegenüber politisch und militärisch unterlegenen Ländern. Diese Entwicklung ging einher mit einem unerhörten wirtschaftlichen Aufschwung in allen Industriezweigen. Die beginnende deutsche Frauenbewegung war entsprechend vorsichtig. Resolutionen verfassen, Verhandlungen mit einzelnen, wohlgesinnten Politikern hinter verschlossenen Türen, vereinzelte Artikel in Zeitungen oder Zeitschriften - das war die Taktik.

Und in diesem Klima kam 1873 eine Frau daher - Hedwig Dohm - nahm kein Blatt vor den Mund und rüttelte an eine der Grundfesten dieser Männergesellschaft: am »weiblichen« Respekt vor dem Manne und an der »weiblichen« Demut und Dummheit:

In ihrem Buch »Der Jesuitismus im Hausstande« beschreibt Hedwig Dohm ironisch das armselige Leben von Frauen des mittleren und gehobenen Bürgertums, deren ganzes Denken einzig um den Kochtopf kreist: »Ich. . glaube von ganzem Herzen und mit allen meinen Kräften, an mich und meine Küche, an meine Kinderstube und meinen Waschkeller, an meinen Trockenboden und meine Nähmaschine ... Ich glaube, daß wenn der liebe Gott eine Frau hätte, sie gerade so sein müßte wie ich. Ich glaube, daß die Dienstmädchen eine nichtswürdige Rasse sind. Jede Frau aber, die meine Unfehlbarkeit anzuzweifeln wagt, oder sich mit sogenannten Ideen befaßt, erkläre ich für eine sittenlose und verabscheuenswürdige Emanzipierte, für eine Ketzerin, die von Rechts wegen gespießt und mir zu süßem Duft gebraten werden müßte. Denn ich war und bin und werde sein - eine deutsche Hausfrau.«

Gleichzeitig betonte Hedwig Dohm aber auch, daß gerade Männer die allerletzten seien, die das Recht hätten, sich über solche »Kochtopf-Frauen« zu mokieren, denn gerade sie wären es ja, die die Frauen zu einem solch erbärmlichen Los verdammten. Bei Erscheinen des Buches war die Entrüstung groß. Auch Teile der Frauenbewegung gerieten in Aufregung. Besonders der »gemäßigte Flügel« hatte an der angriffslustigen Streitschrift schwer zu schlucken. Hedwig Dohm verletze die »guten, bescheidenen deutschen Hausfrauen« hieß es. Dabei war das Buch sicherlich vielen Frauen - auch Hausfrauen - aus der Seele gesprochen. Doch schon damals gab es wie heute Frauen, die aus Angst, die öffentlichen und die eigenen Männer zu verschrecken und in kurzsichtiger Spekulation auf die »Massen« den nach vorn preschenden Frauen in den Rücken fielen.

Doch Hedwigs Erfolg war nicht mehr zu bremsen. Obwohl und gerade weil sie selbst eine Frau war, die - trotz Erfolg, Verstand und Schönheit - von tiefsten Selbstzweifeln gequält war: »Mein ganzes Leben hat eigentlich nur in einer chronologischen Reihenfolge psychischer Zustände bestanden: erst Träumen, dann Grübeln, dann Denken; letzteres soweit es mein Bildungsgrad zuließ«, schrieb sie rückblickend im hohen Alter. Und: »Der Mangel an wissenschaftlicher Schulung hat mich oft bis zur Verzweiflung niedergedrückt.« Und gerade in dieser eingestandenem Verletzbarkeit liegt eines der Geheimnisse ihres Erfolges: über ihrer Stärke hat Hedwig Dohm niemals ihre eigenen und die Schwächen aller Frauen vergessen. Gerade sie wußte, was es heißt, Frau zu sein!

Geboren am 20. 9. 1833, war sie das 11. Kind von 18 Geschwistern in der gutbürgerlich-biederen Familie Schleh. In dem autobiographischen Roman »Schicksale einer Seele« beschreibt sie eindringlich ihre Kindheit: von der Mutter zurückgestoßen, vom Vater kaum beachtet und verzweifelt, weil ein kleines Mädchen damals noch weniger wert war als heute. Später beschreibt sie es mit folgendem Kinderreim: »Müller, Müller, mahl er! Die Jungen kosten 'nen Taler. Die Mädchen kosten 'nen Taubendreck, die schubst man mit den Beinen weg. Müller, Müller, mahl er!

Hedwigs sehnlichster Wunsch war der Besuch eines Lehrerinnenseminars (damals die einzige Möglichkeit überhaupt für eine Frau aus bürgerlichem Elternhaus, zu ein wenig Wissen und Ausbildung zu gelangen). Die Mutter ließ es zunächst nicht zu. Hedwig solle erst einmal im elterlichen Haushalt arbeiten, um für die spätere Ehe zu lernen, hieß es.

Sie litt unter dem engen Horizont von Küche und Nähstube. Die Freiheitskämpfe von 1848 brachten ihr erste Impulse von außen, vermittelt durch eine ältere Schwester. Wenig später flüchtete sie aus dem engen Elternhaus in eine Ehe. Doch der Preis war hoch. Wie sie in den »Schicksalen einer Seele« beschrieb, hatte ihr Mann sie mehr aus Berechnung als aus Liebe geheiratet.

In kurzen Abständen wurde Hedwig Dohm fünfmal Mutter. Kochtöpfe und Windeln waren ihre Hauptbeschäftigung, nicht Bücher und Gespräche. Was um so schmerzlicher für sie war, als sie im Hause ihres Mannes, der ein bekannter Redakteur einer satirischen Zeitschrift war, vielen Menschen begegnete, denen sie nur voller Komplexe gegenüberzutreten wagte. (In dem Berliner Hause Dohm traf sich die geistige Elite der damaligen Zeit, so unter anderen Rahel Varnhagen, Fanny Lewald, Humboldt und Hans von Bülow). Erst viel, viel später kann Hedwig Dohm zugeben - wie groß die gesellschaftlichen Zwänge in diesen Kreisen waren und wie inhaltslos das Leben für viele Frauen blieb, so sehr sie sich auch bemühten auszubrechen. Dennoch trugen die vielen Begegnungen und Anregungen Früchte. Hedwig Dohm fing an, alles zu lesen, was ihr in die Hände fiel. Mit dem Schreiben jedoch begann sie richtig erst als 50jährige - zu einer Zeit,in der die Frauenbewegung in Deutschland erstarkte und ihr Ehemann tot war . . .

In den folgenden Jahren schrieb Hedwig Dohm über alle Fragen, die Frauen sich damals schon stellten: über Hausarbeit, Mutterschaft, Kindererziehung, Zwangsehe und Sexualität; über die Notwendigkeit von Frauenberufsarbeit, Frauenwahlrecht und Ausbildung. Und obwohl Hedwig Dohm selbst aus einer bürgerlichen Familie stammte, vergaß sie die Frauen aus den Arbeiterfamilien nie: Die unmenschliche Situation von Arbeiterinnen in der Fabrik und in der Familie war einer der Hauptgründe ihrer Kritik an den bestehenden Verhältnissen.

1902 - Hedwig Dohm war fast 70 Jahre alt - erschien eine ihrer brillantesten Streitschriften, »Die Antifeministen«. Darin nimmt sie die verschiedenen Spielarten männlicher Macht und Besserwisserei unter die Lupe: angefangen bei den »Herrenrechtlern« (die selbst noch in der Sylvesternacht ihre Frauen anherrschen: »Wann Mitternacht ist, bestimme ich!«) bis hin zu den Männern, die unter dem Mantel von Ritterlichkeit und Fürsorge für das sogenannte schwache Geschlecht dann doch ihre Interessen um jeden Preis durchsetzen.

Erstaunlich und bewundernswert bei Hedwig Dohm ist, daß sie sich immer wieder neuen Fragen stellte, auch der noch heute tabuisierten Frage des Alters. In einer ihrer späten Novellen beschreibt sie, als nun selbst alte Frau, das tragische Ende einer Frau, die nach dem Tode ihres Mannes und nach einem eher unbewußt gelebten Leben endlich aufwacht, alles lernen und neu erfahren möchte, dann aber brutal zu spüren bekommt, daß alte Frauen in unserer Gesellschaft nichts wert sind und lächerlich gemacht werden. Für einen Neuanfang ist es zu spät. . .

Hedwig Dohm lebte bis zum Schluß sehr zurückgezogen. So radikal sie die Frauenfrage auf dem Papier anging, so sehr scheute sie die Praxis. Sie stand dem radikalen Teil der sogenannten »bürgerlichen« Frauenbewegung besonders nahe und wurde Ehrenvorsitzende des 1889 gegründeten Vereins der fortschrittlichen Frauen, des Vereins »Frauenwohl«, denn die Stimmrechtsfrage lag ihr besonders am Herzen. Das Vorbild der Suffragetten, die so bedingungslos in England für das Frauenstimmrecht kämpften, steckte auch die deutsche Frauenbewegung an.

Hedwig Dohm erlebte als 86jährige noch kurz vor ihrem Tod die gesetzliche Zulassung von Frauen an den deutschen Universitäten - ein Teilerfolg der Frauenbewegung nach 30 Jahren unermüdlicher Kleinarbeit, Demonstrationen. Was Hedwig nicht mehr erlebte, war die Durchsetzung des Wahlrechts für Frauen. Erspart blieb ihr auch die bittere Erkenntnis, in wie geringem Maße dies den Frauen tatsächlich politischen Einfluß brachte! Hedwig Dohm hatte mit ihren Schriften großen Einfluß auf die damalige Frauenbewegung. Sie ist nicht ohne weiteres einer bestimmten Richtung der Frauenbewegung zuzurechnen, da sie sich immer wieder ausdrücklich gegen jede »Vereinsmeierei« wehrte. Aber sie kämpfte in ihren Veröffentlichungen gegen die Ohnmacht von Frauen! Sie war eine Frau, die zutiefst freiheitlich dachte und für alle Schwachen eintrat: für Frauen, Kinder und alte Menschen. Ihre Schriften zeigen, wie weit unsere Urgroßmütter in vielen Fragen waren und daß wir heute keineswegs in der Stunde Null beginnen. Vor hundert Jahren schrieb sie beschwörend: »Aber es wird kommen der Tag, wo die Frau, der Nadel und des Kochlöffels überdrüssig, diese Geschlechtsmerkmale von sich wirft, wo sie, müde der abgedroschenen Phrasen, mit denen sie bisher betrogen worden, dem Despoten 'Mann' den Gehorsam kündigen wird.« - Um die Erfüllung dieser beschwörenden Prophezeihung kämpfen wir, Hedwigs Urenkelinen, heute noch.
Gesamten Bestand von FrauenMediaTurm anzeigen

Kontext

wird geladen...

Standort

Frauenmediaturm – Feministisches Archiv und Bibliothek

Bayenturm / Rheinauhafen
50678 Köln
Telefon: +49 (0)221 931 88 10
Öffnungszeiten
Mo-Fr. 10-17 Uhr, nach Voranmeldung. Die Anmeldung kann telefonisch, per Mail oder über das Kontaktformular erfolgen. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei

Ich stimme der Nutzung von Google Maps zu.